Interview "Udo Jürgens ist Emotion ohne Zeitgeist"

Der Schriftsteller Andreas Maier ist ein glühender Fan von Udo Jürgens. Ein Jahr nach dem Tod des Chansonniers ist jetzt das nette Bekenntnisbuch des Autors erschienen.

Hamburg Als Udo Jürgens am 21. Dezember 2014 starb, entschloss sich der Schriftsteller Andreas Maier (48) zur intensiven literarischen Auseinandersetzung mit dem Sänger. Das Resultat ist ein Erfahrungsbericht: "Mein Jahr ohne Udo Jürgens" heißt das ergreifende, kluge und witzige Werk des Schriftstellers.

Wann haben Sie denn zuletzt Udo Jürgens gehört?

Maier Das müsste vorgestern Nacht gewesen sein - von Mitternacht bis ca. 00.45 Uhr.

Ihr Buch beginnt mit dem Kauf einer Udo-Jürgens-Platte und wie unangenehm das ist, sich öffentlich zu Udo Jürgens zu bekennen.

Maier Das ist schon eine seltsame Angelegenheit. Weil die, bei denen es irgendwann Klick gemacht hat und die verstanden haben, was Udo Jürgens eigentlich gemacht hat, natürlich immer kritische Blicke bekommen. Für viele ist das so schlimm, als wenn man zum Beispiel Wolfgang Petri hören würde oder Rex Gildo. Obwohl die meisten wissen, dass Udo Jürgens mit den wirklichen Abgründen des deutschen Schlagers nichts zu tun hat, gilt es schon als sehr uncool, ihn zu hören. Es ist ein grundlegender Unterschied, ob man im Plattenladen etwas von Chuck Berry oder von Udo Jürgens kauft. Das eine ist völlig sakrosankt, das andere harrt erst einmal der Begründung. Na ja, so jedenfalls wird man angeschaut.

Dabei sorgen auch nach meiner Erfahrung Udo-Jürgens-Lieder oft für die größte Stimmung.

Maier Erst als ich auf ihn umgeschwenkt war, ist mir aufgefallen, wie oft auf Partys tatsächlich Udo Jürgens gespielt wird. Das war mir vorher nicht klar, weil ich keine Unterschiede gemacht habe. Neulich war ich im Hofbräuhaus in München, da haben die mit ihrer Kapelle nicht nur Helene Fischer, sondern eben auch Udo Jürgens gespielt. Aber das betrifft drei oder vier Songs. Dazu gehören "Ich war noch niemals in New York", "Griechischer Wein" und "Aber bitte mit Sahne". "Das ehrenwerte Haus" gehört schon nicht mehr so richtig dazu. Angesichts der über 1000 Lieder, die er komponierte, ist das überschaubar. Außerdem sind das nicht unbedingt seine besten Kompositionen, wenn auch "Ich war noch niemals in New York" schon gut gemacht ist.

Warum das?

Maier Das Lied hat einen sehr interessanten Verlauf. Einmal wird in diesem Lied der Refrain nur gesummt ...

... ach, das habe ich überhaupt nicht mehr in Erinnerung.

Maier Das Summen gegen Ende hat eine erzählerische Funktion: Der Mann im Lied entschließt sich ja am Ende, die Reise in die Freiheit nicht zu unternehmen und endlich abzuhauen, sondern er geht wieder in die Wohnung zurück, um dort mit seiner Frau Dalli Dalli anzuschauen. Dann aber, am Ende, müsste wie üblich wieder der Refrain kommen. Und der wird dann erst einmal bloß nur gesummt, weil es nur noch das feige, schüchterne Kopfkino ist, das er mit ins Wohnzimmer zurückbringt. Das hat nichts mehr vom triumphalen Aufbruch; da hat er den Schwanz nämlich schon längst eingezogen. Wenigstens die Melodie bewahrt der Held noch im Kopf.

Sie beschreiben die Zeit Ihrer Jugend als ein heroisches Zeitalter - mit Musik von Jethro Tull, Deep Purple und Led Zeppelin. Wie würden Sie Ihren jetzigen Lebensabschnitt mit Udo Jürgens bezeichnen?

Maier Natürlich ist bei mir das heroische Zeitalter von damals auch ironisch heruntergebrochen. Aber im Ernst: Mich hat es mit Udo Jürgens erwischt, als ich 44, 45 Jahre alt war. Und das war ein Zufall und hätte durchaus zehn Jahre vorher passieren können. Es hing vor allem mit einer Begegnung zusammen.

Den mit der Gymnasiallehrerin Nina, die Jürgens-Fan ist und mit der Sie dann die Konzerte besuchten.

Maier Genau. Ohne sie wäre es zu meiner Verwandlung wahrscheinlich nicht gekommen.

Wie hat denn Udo Jürgens Ihr Leben bereichert - abgesehen von der Angewohnheit, morgens wie auch Jürgens eiskalt zu duschen?

Maier Was er mir zu denken gegeben hat, waren seine Antithesen zu vielen Meinungen auch aus der Poplandschaft. Ich meine das sehr ernst: Als bei mir die Verwandlung eingesetzt hat, stand ich plötzlich sehr nackt vor seiner Musik. Er hat mich - obwohl ich mich üblicherweise ja für einen aufgeklärten Menschen halte - noch einmal radikal aufgeklärt über Geschmackspositionen, die wir seit ewigen Zeiten mit uns führen und weitertreiben, die aber nicht weiter begründbar sind. Und seine Musik hat mir die Frage gestellt: Warum machst du das eigentlich und warum fährst du gegen mich die Batterie von Vorurteilen auf?

Sie schreiben dazu in Ihrem Buch recht drastisch: "Lebensgefühl ist Verarsche".

Maier Genau. Lebensgefühl ist immer eine kommerzielle Inszenierung. Der Pop kann ein Lied davon singen. Udo Jürgens dagegen ist Emotion ohne Zeitgeist.

Welches Klischee über Udo Jürgens stimmt denn Ihrer Selbsterfahrung nach ganz und gar nicht?

Maier Na, hauptsächlich natürlich, dass er ein Schlagersänger sei. Chansonnier wäre das gerechtere Wort. Da gibt es in Frankreich gerade mal noch Charles Aznavour. Hier war Udo Jürgens seit Jahrzehnten der letzte seiner Art. Hätte Alexandra überlebt, wäre sie einen ähnlichen Weg gegangen. Aber sehen Sie, Alexandra ist schon seit über 45 Jahren tot.

(los)
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