Neues Album „Songs of Surrender“ U2 verhunzen ihre großen Hits

Düsseldorf · 40 Lieder von U2 in akustischen Versionen: Bono und Co. spielen für „Songs Of Surrender“ einige ihrer klassischen Titel neu ein. Warum nur?

U2 "Songs Of Surrender": 40 Songs in der Einzelkritik
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Die 40 Lieder von „Songs Of Surrender“ in der Einzelkritik

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Foto: dpa/Joel Ryan

Manchmal tut es weh, dieses Album zu hören. „Sunday Bloody Sunday“ zum Beispiel: Im Original ist das ein vorwärts drängender Song über Gewalt und Tod im Nordirland-Konflikt. Man hört Sirenen und Schüsse und fühlt sich, als marschierte man Seite an Seite mit dem immer verzweifelter und wütender werdenden Bono. In der Neuaufnahme ist davon nichts geblieben. Bono wirkt, als habe er vergessen, wovon der Song handelt; er verleugnet ihn geradezu: „Sunday Bloody Sunday“ ist nun ein Schlaflied.

„Songs Of Surrender“ heißt das neue Album von U2. Es besteht ausschließlich aus bekannten Titeln, die allerdings anders eingekleidet, teils leicht umgetextet und zumeist als Akustikversionen dargereicht werden: Gitarre und Piano, gelegentlich ein bisschen Elektronik. Bono und Gitarrist The Edge treten meist als Duo auf, und an manchen Stellen saugen sie das Blut wie Vampire aus ihren grandiosen Liedern. Für die Musiker mag das eine Frischzellenkur sein, von den Songs bleibt oft nicht mehr als eine leere Hülle.

U2 waren immer eine Band, die nach vorne geschaut hat. In den 1980er-Jahren schrieben sie Rock-Hymnen für ein Publikum, das sich in Stadien zum Mitsingen und -fühlen versammelte. In den 90er-Jahren experimentierten sie mit Elektronik und Beats, das lief anfangs hervorragend („Achtung Baby“) und später gar nicht gut („Pop“). Auch danach wagten sie das Unerhörte. Und selbst wenn es heftige Rückschläge gab wie den Volkszorn über die Zwangs-Bemusterung von Hunderten Millionen Menschen mit dem Album „Songs Of Innocence“ via iTunes, machten sie doch immer weiter.

Inzwischen, so hat es den Anschein, sind U2 der Verlockung erlegen, sich mit der Verwaltung des Vergangenen zu begnügen. Bono veröffentlichte kürzlich seine Autobiografie, der Streamingdienst Disney+ bringt ein Special, für das Bono und The Edge sich von David Letterman feiern lassen, eine Las-Vegas-Show steht bevor. Und jetzt ist da „Songs Of Surrender“: 40 mehr oder weniger bekannte Stücke in intimen Arrangements.

Das Konzept geht immer dort einigermaßen auf, wo U2 Titel auswählen, die nicht ganz so populär sind. Die neuen Versionen von „Red Hill Mining Town” (mit Bläsern!) und „11 O`Clock Tick Tock“ sind feine Neu-Entwürfe, die darlegen, dass in einem guten Song meist mehrere Möglichkeiten schlummern. Auch „Dirty Day“ und „Miracle Drug“ gewinnen an Kontur, und „Walk On“ bezieht sich nicht länger auf Aung San Suu Kyi, sondern auf die Ukraine.

Das Gros des Katalogs haben sie jedoch ohne Not verhunzt. „One“ verkitschen sie, und anderswo nehmen sie meistens zu viel weg. Der Über-Hit „With Or Without You“ braucht ebenso wie „Pride (In The Name Of Love)“ den Bombast, weil es um das ganz große Gefühl geht, um Sehnsucht und Wut. U2 haben ihnen die Flügel gestutzt, jetzt können sie nicht mehr abheben und flattern bemitleidenswert am Boden herum.

Einige werden sagen: Die dürfen mit ihren eigenen Liedern doch machen, was sie wollen. Gerade im Fall von „With Or Without You“ möchte man das aber in Frage stellen. Das Original ist der perfekte Popsong. Er wurde der Welt 1987 übergeben, sie liebt und hegt ihn seither, und wer je Bono bei Konzerten mit Lichterketten unter der Kleidung zur Zugabe auf die Bühne kommen sah und ihn das Lied vor 60.000 Menschen singen hörte, wird dieses erhabene Erlebnis nicht vergessen. Das Lied gehört den Fans, so ist das mit allen großen Hits, die den direkten Weg vom Ohr ins Herz nehmen. Deshalb ist es umso schmerzhafter zu erleben, wie Bono sein Meisterwerk verzwergt, sich davon distanziert.

Revision ohne Inspiration: Das darf selbst Bono nicht.

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