Bochum Tschechow und Brecht in Bochum

Bochum · Nach Moskau sehnen sich Tschechows "Drei Schwestern" – und nach Hause wünscht sich in der zweiten Hälfte der Inszenierung auch der Zuschauer. Dabei hatte alles so viel versprechend begonnen.

Zur Spielzeiteröffnung am Schauspielhaus Bochum – der zweiten unter Intendant Anselm Weber – hat sich Regisseur Paul Koek des Stoffs angenommen. Der Niederländer prägt mit seiner Veenfabriek eine ganz eigene Art des Musiktheaters, mit der er in Bochum schon für eine zähe Version von Voltaires Candide gesorgt hat. Den "Drei Schwestern" scheint seine Ästhetik der bedachtsamen Ruhelosigkeit anfangs besser zu passen: Den vielstimmigen Text, der schon in Tschechows Regieanweisungen ständig von Musik untermalt wird, übersetzt Koek in ein polyphones Stimmengewirr – mit der Musik an Keyboards, Cello und Flöten. Sie ist immer da, ergreift in Textpausen verstärkt das Wort, mit ihr gerät das Geschehen auf der Bühne in einen flirrenden Fluss.

Wie ein überdimensionales Puppenhaus oder ein Setzkasten ist die Bühne (Theun Mosk) aufgebaut. Die Inszenierung ist so mehr Theater-Installation, in der man sich angenehm einrichten kann: Es gibt immer etwas zu schauen und zu horchen, man spürt der ausweglosen Langweile der Protagonisten gerne nach. Ärgerlich nur, dass Koek für die zweite Hälfte das Dramatische am Stoff entdeckt und ihn praktisch ungekürzt behäbig-konventionell ausspielt – bis ans trostlose Ende. Einige Zuschauer sitzen die dreieinhalb Stunden nur aus, um dem Regisseur kräftige Buhs entgegenzuschleudern.

Wohlwollender wurde Christoph Fricks Inszenierung der "Dreigroschenoper" aufgenommen. Fricks schräge Textcollage mit Musik zum Klimawandel ("Oft ist die Natur nicht einmal schön") gehörte in der vergangenen Saison zu den besseren Stücken in Bochum. Auch seine "Dreigroschenoper" startet vielversprechend: Auf dem nackten Bühnenaufbau aus Podiums-, Rampen- und Drehbühnenelementen spielen das Ensemble und das ziemlich originalgetreue Salonorchester lustvoll auf. Vor allem Nicola Mastroberadino und Maja Beckmann als Macheath und Polly machen Spaß, indem sie ihre bekannten komödiantischen Qualitäten zu neuer Höchstform treiben. Das Regiespiel mit dem Brechtschen Verfremdungseffekt lässt das Geschehen immer wieder gekonnt ins Absurd-Surreale kippen.

Leider kippt die Inszenierung spätestens im zweiten Durchgang in Richtung Brecht-Liederabend mit Nummernrevue. Das reicht für Szenenapplaus bei den einschlägigen Balladen und Zitaten ("Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?"). Obwohl der Stoff so gut auf unsere Zeit der latenten Wirtschaftskrise passt, reicht es jedoch nicht für einen halbwegs denkwürdigen Abend.

Info Termine: "Drei Schwestern": 12., 20., 29. Oktober; "Die Dreigroschenoper: 16., 22. Oktober; Karten unter Telefon 0234 - 3333 - 5555

(RP)
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