Düsseldorf Tschaikowski klingt wie eine Entdeckung

Düsseldorf · Paavo Järvi und das Orchestre de Paris brillieren im Symphoniekonzert in der Düsseldorfer Tonhalle.

Sollten die Berliner Philharmoniker in wenigen Wochen über ihren neuen Chefdirigenten entscheiden, dürfte Paavo Järvi auf der Liste der Kandidaten ziemlich weit oben stehen. Viele der großen Orchester hat er längst dirigiert, er hat höchste Preise bekommen (so den Grammy für eine Sibelius-Aufnahme), er hat mit der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen einen epochalen Beethoven-Zyklus eingespielt. Aber das Berliner Amt wird er wohl nicht bekommen.

Das Gastkonzert seines Orchestre de Paris in der Düsseldorfer Tonhalle zeigte fulminant, was Järvi kann. Er ist ein freundlicher, doch sehr genauer Probierer; den Musikern lässt er fast nichts durchgehen. Wenn es aber einmal sitzt, das Geprobte, dann zieht er sich in der Aufführung zurück auf reine Koordination.

Diese fabelhafte, aber auch sehr bescheidene Kompetenz begründet zugleich sein Manko für Berlin. Järvi strahlt nicht. Er ist kein Showtyp, sondern ein Effektverweigerer. So jemanden suchen sie in Berlin nicht. Dort wünschen sie eine lächelnde Marke, den weithin leuchtenden Star, der auch jenseits des Dirigentenpults weltumspannende Aura verbreitet. Berlin träumt von einem Darling oder einem Titanen. Järvis Gesicht und sein ganzer Körper wirken dagegen auf seltsame Weise eingefroren. Zwar dreht sich sein rechter Arm manchmal wie ein Windrad, das vom Sturm der Musik angetrieben wird. Aber ein fotogener Dirigent sieht anders aus.

So erlebten wir in Peter Tschaikowskis 5. Symphonie e-moll zahllose Momente, in denen das Werk dank Järvis quellenforscherischer Unerbittlichkeit wie neu erstand. Ganze Passagen klangen völlig unverbraucht, anspringend. Aus dieser angeblichen tönenden Autobiografie eines Komponisten, dem das Schicksal an die Tür hämmert, wurde das erregende Verlaufsprotokoll eines symphonischen Prozesses, in dem alles miteinander verzahnt und vernetzt ist. Das Pariser Orchester war in brillantester Form, bestach durch seine Bläser (Hörner!), ging an Järvis kurzer Leine präzise durchs Gelände, verlor sich nicht im Unterholz und büßte auch im Finale keine Sekunde seine stürmische Haltung ein.

Enttäuschend wirkte dagegen das Klavierkonzert a-moll von Edvard Grieg. Das lag an der georgischen Solistin Khatia Buniatishvili, die von einem Extrem ins andere fiel (holdselig schmachtender Ausdruck im langsamen Satz, stechende Härte im Finale), aber keine künstlerische Mitte erkennen ließ. Buniatishvili ist das Gegenteil von Järvi: Sie leidet beim Spielen mit. Und wenn sie sich emotional verausgabt hat, wirft sie ihr Haar nach hinten, als sei das der Abschluss des künstlerischen Geschehens.

Nach dem Grieg galt der Applaus einer jungen Klavierheldin. Nach dem Tschaikowski schien er auch der Musik zu gelten. Das ist unzweifelhaft das wertvollste Prädikat für Järvis Leistung. In der Tat, dieser Dirigent tritt hinter das Kunstwerk, das er entdeckt, stets völlig zurück.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort