Tristan in der Jahrhunderthalle

Intendant Willy Decker über seine letzte Ruhr-Triennale

Bochum Willy Decker steht vor seiner dritten und letzten Spielzeit als Intendant der Ruhr-Triennale. "Urmomente" lautet unter Decker das übergreifende Motto, das sich der Erforschung der Verbindungen von Kunst und Spiritualität widmet. Nach dem Judentum und dem Islam steht vom 26. August bis 9. Oktober der Buddhismus im Zentrum. Der international gefragte Opernregisseur Willy Decker hatte niemals geplant, Intendant zu werden. Doch als er 2007 – noch als Gast – Frank Martins Vertonung des mittelalterlichen "Tristan"-Stoffs "Le vin herbé" inszenierte, verliebte er sich derart "Hals über Kopf" in die Industriehallen, dass er sich überzeugen ließ, die Intendanz zu übernehmen. Nun arbeitet er an seiner Inszenierung von Wagners "Tristan und Isolde".

2007 Frank Martin, jetzt Richard Wagners "Tristan"-Vertonung: Schließt sich damit ein Kreis?

Willy Decker Ich kehre tatsächlich immer wieder zu diesem Stoff zurück. Aber es ist mehr als das, denn es hat auch viel mit den Hallen zu tun, und dann hat für mich das buddhistische Denken ganz zwingend mit Wagners "Tristan" zu tun.

Was prädestiniert die Industriehallen für Wagner?

Decker Ich habe sofort an Wagner gedacht, zuerst an "Rheingold", an den "Ring" überhaupt. Aber auch und gerade an "Tristan". Mein Partner Kirill Petrenko, der die musikalische Leitung übernimmt, hatte auch sofort eine Vision, eine Klangvision!

Ist es die Weite der Räume?

Decker Die Weite ist essenziell, bei Tristan auch inhaltlich und visuell. Jemand hat mal gesagt: Tristan findet nicht auf dem Sofa statt. Die Jahrhunderthalle ist ideal.

Und wie bringen Sie Tristan mit dem Buddhismus zusammen?

Decker Durch Wagner selbst! Das fließt in jede Verästelung des Stückes hinein: Die Auflösung der äußeren Wirklichkeit, ihre Entlarvung als Schein und Täuschung. Tristan und Isolde durchbrechen ja die Alltagsrealität, und Wagner selbst hat diesen Raum, in den sie hineingehen, das "Land Nirwana" genannt, die Berührung mit dem Nichts. Wagner hat nachweislich nicht nur Schopenhauer, sondern die gesamte damals zugängliche buddhistische Literatur gelesen und in einem Brief an Liszt geschrieben: "Du weißt, wie ich unwillkürlich zum Buddhisten geworden bin durch die Arbeit am Tristan."

Sie sind selbst praktizierender Buddhist. Wie kam es dazu?

Decker Ich bin erzogen im rheinischen Katholizismus, also in einer sinnlich barocken, nicht strikten und einengenden Religiosität. Als Student kam die Begegnung mit Camus und die radikale Abwendung von der Religion. Über lange Zeit wuchs dann die Auseinandersetzung mit fernöstlichem Denken. Nach einer fetten Lebenskrise, als gar nichts mehr ging und ich alles abgesagt habe, bin ich dann schließlich angekommen beim Zen-Buddhismus. Das ist heute die Basis, auf der ich lebe.

Die fernöstliche Spiritualität liegt ja schwer im Trend.

Decker Ich weiß, was sie meinen, das große Esoterik-Kaufhaus mit den Wellness-Angeboten. Nein, damit hat das nichts zu tun. Die Praxis des Zen-Buddhismus ist schwer und anstrengend, sie fordert Radikalität und Konsequenz.

Ihr Rezept für "Tristan"?

Decker Einfachheit. Eine weite, klare Form, vor der die inneren Vorgänge der Figuren ablesbar werden.

(RP)
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