Trauer um Hans Werner Henze

Im Alter von 86 Jahren ist in Dresden der große deutsche Komponist gestorben. Sein reichhaltiges Schaffen war politisch geprägt und zugleich Ausdruck überquellender Schaffensfreude.

Dresden Er ist nun ganz leise von uns gegangen, fast unbemerkt, wie ja der Meister sich in den vergangenen Jahren immer diskreter verhalten hatte, ein greiser Zehenspitzwegerich am Rain der wogenden Klangfelder seiner Branche. Deren Betriebslärm hat er immer gehasst, alles Rabiate, jedes Gepränge war ihm suspekt. Und als er vor zwei Jahren seine Oper "Gisela" bei der Ruhrtriennale herausbrachte, schien sie wie ein intimer Epilog seines Schaffens, wie ein Postskriptum, nach welchem er unweigerlich die Feder weglegen würde. Jetzt ist Hans Werner Henze im Alter von 86 Jahren in Dresden gestorben. Ein Gigant, dezent erloschen.

Henze war sein Leben lang ein internationaler Geist, ein Vermittler zwischen Welten, Klängen, Nationen. Als ich ihn vor zwei Jahren vor der "Gisela"-Premiere zu einem Interview in Essen besuchen durfte, war seine erste Frage: "Nehmen Sie einen Drink?" Dieser Satz war Henze pur. Er atmete Stil, Gastfreundschaft und Weltläufigkeit, er klang korrekt und zugleich spendabel, wie eine Einladung, die uns fast vertraut machte.

Es blieb natürlich nicht bei dem einen Whisky, und bald schien es uns in dem Essener Hotel, als fächle uns ein nahes Mittelmeer eine warme Brise zu, und draußen vor dem Hotel standen beinahe lauter Pinien. Henze war der deutscheste Italiener der Branche, ein romanischer Glühfaden in Menschengestalt, der natürlich ein weitläufiges Anwesen bei Rom besaß. Es bildete die Großzügigkeit seines Seins und Denkens beispielhaft ab. Und natürlich war es Ausdruck der Qualität seiner Einkünfte aus Tantiemen und Kompositionsaufträgen.

Italien schien dem jungen Mann aus Gütersloh insofern das Paradies, als er mit der alten Heimat Deutschland überkreuz lag. Als aufstrebender Komponist wurde er von den Bewegungsmeldern der Neue-Musik-Szene schnell als gestriger Sonderling abgetan; Henze, so hieß es, befördere die Kunst nicht ins Radikale, Neue, er fröne vielmehr einem altertümlichen, an bloßer Sinnlichkeit und einem überlebten Neoklassizismus interessierten Schreibstil. Es traf Henze sehr, dass auch seinen politischen Visionen – künstlerfroh hing er einem Kommunismus in Menschengestalt an – das Etikett der Dekadenz zuteil wurde. Henze, sensibel wie wenige und in den letzten Jahren des Zweiten Weltkriegs als Wehrmachtsfunker mit den Nazis konfrontiert, fühlte sich verfolgt – und wenn man sein Schaffen überblickt, gibt es auf überwältigende Weise Auskunft auch über die Kunst des Ausweichens.

Und über seine brennende Neugier. Henze war ein Anverwandler, ein zu poetischer Empathie begabter Globetrotter, der sich ins ideologisch komplexe Kuba träumte; der in seiner Oper "Die Bassariden" über den antiken Dionysos-Mythos nachdachte; der japanische Gewalt in die Oper "Das verratene Meer" mixte. Immer bewahrte sich Henze eine grandseigneurale Kindlichkeit, die ihn empfänglich machte für Berührungen durch Märchen, Legenden, für das Zauberhafte, wie es etwa in seiner späten Oper "L'Upupa" naiv und doch wie Götterspeise aufschien.

Er war ja selbst ein Dionysos, ein Bacchus, der das Komponieren als strenges Gelage begriff, dessen Ausschweifungen sozusagen nach Plan verliefen. In dieser lüsternen Ordnungsmethodik, in der sich der Komponist zugleich Freigang und Arrest gewährte, gelangen Werke von einzigartiger Relevanz, etwa das überwältigend schöne, kaum je aufgeführte Chorwerk "Novae de infinito laudes" auf Texte von Giordano Bruno, dessen hymnische Kurven an Mahler und Strawinksy heranreichen. Ebenso baute sich ein großartiges Korpus von Symphonien auf, die im modernen Konzertsaal leider nur von Henze-Spezialisten aufgeführt werden.

Auf der anderen Seite des Klangspektrums liegen die zahlreichen Kompositionen aus dem Weinberg der Kammermusik, deren einzelne Reben etwas überaus Gepflegtes, lustvoll Reifes besitzen. Das gilt auch für ideologisch ausgreifende Werke wie das spinnwebzarte, aber beinhart politische Quartett "El Cimarrón".

In "Gisela" wurde Henze, wie gesagt, bereits sehr leise, aber es war ein von Herzen freundliches Piano. Das Werk endet mit einem Triumph der Liebe, ein bisschen verschroben das Ganze, aber doch echter Henze, von einer erlauchten Handwerklichkeit, die nur wenige Komponisten auf diesem Niveau hinkriegen. Zwischendurch zitierte Henze, als mache er einen Kniefall, ein paar Orgelwerke von Johann Sebastian Bach und borgte ihnen Orchesterstimmen, wie er bereits in seiner bewegenden Bearbeitung von Claudio Monteverdis Oper "Il ritorno d'Ulisse in patria" für die Salzburger Festspiele beispielsweise das moderne Akkordeon mit der italienischen Renaissance vermählt hatte.

Überhaupt war dies ein spezielles Anliegen Henzes: die Zeiten verfügbar zu machen, flüssig zu halten, ihrer Versteinerung vorzubeugen. Henze bediente sich nicht schnöde, er befragte, mietete sich ein, bat etwa Monteverdi um Audienz. Diese Demut hat uns stets gerührt, nie erheitert. Ja, Hans Werner Henze war ein Liebender der Musik. Als solcher bleibt er unsterblich.

(RP)
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