Thomas Ruffs Bilder aus der virtuellen Wunderkammer

In der belgischen Stadt Gent zeigt der Düsseldorfer Fotokünstler erstmals neue Arbeiten. Die Serien "Negative" und die am Jülicher Superrechner entstandenen "Fotogramme" sprengen die Grenzen der Fotografie.

Ruff ist ein Radikaler unter seinesgleichen. Er macht immer häufiger Fotos ohne Kamera, generiert Kunst am PC. Er arbeitet in einer virtuellen Dunkelkammer, die unter seiner Regie zu einer futuristisch anmutenden Wunderkammer wird. So weitet er beständig den künstlerischen Rahmen der Fotografie, ihren Horizont. Ganz aktuell hat der Fotograf, der einer der drei Protagonisten der weltberühmten Düsseldorfer Becher-Schule ist, neue Dimensionen mithilfe externer technischer Mittel erreicht.

Als Junge wollte Ruff Astronom werden. Auch als Künstler handelt er wie ein Forscher, geht konzeptuell ans Werk. Vor zwei Jahren wollte er das größte Fotogramm der Welt herstellen. "Mit meinen Hausmitteln hätte ich das nicht hinbekommen", erzählt er. "Um ein Format in DIN-A-4 zu rechnen, hätte ich eine halbe Woche gebraucht." Die Datenmengen, die er für ein perfektes farbiges Remake von Fotogrammen der 1920er Jahre benötigte, waren viel zu groß, als dass das Ergebnis zufriedenstellend hätte werden können. Da kam ihm die Hilfe des Jülicher Forschungszentrums gerade recht. Robert Fleck, Professor der Düsseldorfer Kunstakademie, hatte die Kooperation vermittelt. Zwei Millionen Kernstunden spendierten die Forscher dem Künstler. Ihr Server hat die 40-fache Kapazität eines Heimcomputers. Das am Juropa-Server entstandene bildliche Ergebnis ist nun erstmals in Europa in einer Ausstellung in Gent zu sehen.

Wissenschaftliche Neugier ist ein Antrieb von Thomas Ruff, der in seinem bisherigen Oeuvre 22 sehr unterschiedliche Serien geschaffen hat. Er hat die Fotografie einmal die größte Bewusstseinsveränderungsmaschine unserer Zeit genannt. Und er will ständig neue Methoden und Möglichkeiten finden, um sie voranzutreiben, sie neu zu bestimmen. Ihn interessieren Fragen wie: Darf man einem Foto noch vertrauen? Welche Darstellungsmöglichkeiten kann es in Zukunft geben?

Fünf Ruff-Serien sind in Gent zu sehen, großzügig gehängt. Der Leitgedanke ist das Licht - daher der Titel "lichten", was im Flämischen auch leuchten bedeutet. Der Weg im Museum führt von den tiefschwarzen Sternenbildern zu den mit Nachtsichtgeräten aufgenommenen Straßenszenen in giftgrünem Licht. Die vor Jahrzehnten geschaffenen "Interieurs" sind den Sternen an die Seite gestellt - hier wird Alltagswirklichkeit in spießig wirkenden Wohnungen noch analog abgebildet. Dort hat er schon wissenschaftliches Referenzmaterial benutzt, um die Dimensionen von Licht und Zeit zu verhandeln.

Im Bestand der Museumssammlung befinden sich Porträts von Thomas Ruff, die in einem weiteren Raum mit Zeitgenossen arrangiert werden. Diese Porträts aus den 1980er Jahren hatten ihn einst bekannt gemacht. Kleinere Porträts von Freunden waren es anfangs, denn Fotopapier war teuer. Mit der später erst angefertigten Vergrößerung gelang Ruff so etwas wie eine neue Standortbestimmung künstlerischer Fotografie. Seine Großporträts hatten die Präzision eines Gemäldes. Vor den kleinen Aufnahmen stehend, hatten die Betrachter noch die Menschen benannt, die sie sahen. Später, angesichts des überhöhten Formats von 160 x 250 Zentimetern, war die Rezeption eine andere. "Damals hat der Betrachter zum ersten Mal das Medium Fotografie wahrgenommen", sagt Ruff, "und das Medium nicht mit der Wirklichkeit verwechselt."

Dies alles ist Geschichte, jetzt geht der Künstler neue Wege. Warum baut er Fotogramme nach? Und wie gelingt ihm das? "Es ist ein schönes historisches Genre", sagt er. "Ich liebe Fotogramme!" Wieder geht er virtuell an die Arbeit, selbst das Arrangement der Gegenstände geschieht mithilfe des gesteuerten PC. Anfangs erschienen Ruff seine Fotogramme noch zu unscharf, er wollte Feinzeichnung im großen Format, verrückte Formen, Farben und Materialien. "Meine Fotogramme bilden keine Objekte mehr ab", erklärt er, "nur Schatten, der aus Lichtbrechung entsteht. Es ist ein Spiel, das dem in Platons Höhle gleicht."

Und wieder kann Ruff Fragen auflösen, spricht von einer Lektion: von einem Lehrstück darüber, wie wir wahrnehmen, wie viel Illusionismus die Wirklichkeit verträgt. Angesichts der farbgewaltigen Fotogramme bekennt er ungewohnt schwärmerisch: "Da unten, in den Farbspielen, haben wir Paul Klee. Ja, ich bin als westeuropäischer Künstler, befangen in dieser Ikonographie." Tatsächlich, das gibt er zu, kann man bei diesen Fotogrammen nicht mehr von Fotografie reden, nur die Belichtung ist am Ende noch dem Genre eigen. Doch: "Kategorisierung interessiert mich nicht", sagt Ruff, "ich bin ein Künstler."

Seine "Negative" schließlich sind das Aktuellste, was ihn beschäftigt, aus einem archivarischen Impuls heraus treibt ihn das. "Fotografiegeschichte ist immer auch Kulturgeschichte, doch das Negativ ist so gut wie verschwunden heute." Bei vielen historischen Vorlagen hat er sich bedient, Themen wie Aktfotografie, Architektur, Landschaft und ethnische Typen reizen ihn. Er hat verschiedene technische Verfahren angewendet wie etwa die Invertierung, die die Farbe umdreht. So wie das heute auch mit Programmen für iPhone-Fotos möglich ist. Das Bild wird am Ende blau, unwirklich, malerisch, transparent.

Die Negative präsentiert er im kleinen Format, man muss schon nah herangehen, um forschend zu erkennen. Das sieht er als Verweis auf historische Negativfotografie.

Wie es weitergeht in der virtuellen Wunderkammer des rastlosen Fotokünstlers, ist offen. An Technik habe er eigentlich kein Interesse, sagt Thomas Ruff, der mit seinem Werk die Fotografie durchmisst. "Mich interessieren nur Bilder."

(RP)
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