„In aller Freundschaft“-Hauptdarsteller Thomas Rühmann „Dr. Heilmann wird nie zum flammenden Liebhaber“

Interview | Leipzig · Seit 25 Jahren ist er das Gesicht der ARD-Serie „In aller Freundschaft“: Im Interview spricht Thomas Rühmann alias Dr. Roland Heilmann über seine Rolle als Fernseharzt und 1000 Folgen einer der beliebtesten Serien Deutschlands.

Thomas Rühmann spielt in der Serie "In aller Freundschaft" die Rolle des Klinikarztes Dr. Roland Heilmann .

Thomas Rühmann spielt in der Serie "In aller Freundschaft" die Rolle des Klinikarztes Dr. Roland Heilmann .

Foto: MDR Mitteldeutscher Rundfunk/MDR/Robert Strehler

Thomas Rühmann (67) zählt zu den beliebtesten deutschen Fernsehschauspielern. Seit 1998 verkörpert er die Rolle des Klinikarztes Dr. Roland Heilmann in der ARD-Serie „In aller Freundschaft“. Am 31. Januar ist die 1000. Folge zu sehen. Außerdem tritt er als Musiker auf und leitet das „Theater am Rand“ im Dorf Zollbrücke im Oderbruch.

Lieber Herr Rühmann, in Folge 742 haben Sie einen Eingriff durchgeführt, für den Sie gar nicht qualifiziert sind. Sie spielen in der Serie ja einen Facharzt für Allgemein- und Unfallchirurgie. Kardiologe sind Sie nicht. Trotzdem haben Sie eine Herzkatheter-Untersuchung durchgeführt. Wie konnte das passieren?

Rühmann Das machen wir in der Serie doch immer. Wenn ich nur Knie oder Bauch machen würde, dann wäre die Serie längst zu Ende. Die Ärzte der Sachsenklinik können alles, das ist eine dramaturgische Notwendigkeit. Ich habe Kinder zu Welt gebracht oder am offenen Gehirn operiert – ohne auch nur irgendetwas davon zu verstehen, was ich da sage oder mache.

Was meinen Sie? In der Regel verlaufen Ihre TV-Eingriffe doch erfolgreich.

Rühmann Ich werde von Leuten ja oft gefragt, ob ich jetzt mehr Ahnung von Medizin hätte. Der Gedanke daran ist total vermessen. Als ob ich jetzt die Kompetenz eines richtigen Arztes hätte, nur weil ich seit bald 25 Jahren einen Arzt spiele. Ich weiß lediglich, dass das ein gigantisches Wissensfeld ist. Je mehr Jahre als Fernseharzt dazukommen, desto weniger verstehe ich von Medizin.

Trotzdem wachen doch richtige Ärzte darüber, ob in der Sachsenklinik korrekt behandelt wird, oder?

Rühmann Klar, es gibt eine medizinische Fachberatung bei den Dreharbeiten, und auch die Entwicklung der Drehbücher geht durch die Hand professioneller Ärzte.

Mich nervt es immer, wenn TV-Urologen ein Aneurysma im Gehirn operieren. Andererseits sind die Fälle fast immer sauber dekliniert. Wenn man „In aller Freundschaft“ aber etwa mit „Emergency Room“ vergleicht, ist dort der Klinikalltag realistischer dargestellt.

Rühmann Ja, aber auch viel aufregender. Das wollen unsere Fans nicht haben.

Haben Sie sich irgendwann ein medizinisches Fachlexikon gekauft?

Rühmann Nein, lehne ich ab. Dazu bin ich zu faul. Ich kaufe mir ja auch kein Physik-Lehrbuch, wenn ich einen Elektriker spiele. Bei uns geht um Situationen zwischen Menschen. Die Medizin ist nachgeordnet.

Der Prototyp der deutschen Krankenhausserie war die „Schwarzwaldklinik“. Haben Sie die damals im West-Fernsehen angeguckt?

Rühmann Ja, und die läuft ja jetzt auch wieder. Ich finde das ganz schlimm (lacht).

Warum?

Rühmann Die „Schwarzwaldklinik“ transportiert halt das Bild des Halbgottes in Weiß. Dagegen machen wir blanke Realität – auch wenn die gegen „Emergency Room“ dann wieder abschmiert.

Wie viel von Thomas Rühmann steckt in Roland Heilmann – und umgekehrt?

Rühmann Beide neigen nicht zum Plappern. Ich bin ja in Magdeburg aufgewachsen, also in Sachsen-Anhalt, und habe einen eher knappen Humor. Selbst leidenschaftliche Dinge werden bei uns knochentrocken formuliert. Das ergibt manchmal so eine feine Komik, die ich über die Jahre in meine Rolle eingebracht habe. Jemand hat mal gesagt, Rühmann sei der schlechteste Schauspieler Deutschlands. Und ein anderer hat beigepflichtet: Ja, der spielt ja gar nicht. Ein besseres Kompliment kann man gar nicht bekommen.

Mein persönliches Resümee Ihrer Rolle lautet so: Heilmann ist der empathische, manchmal etwas impulsive, auch bockige, aber idealistische und dem Ethischen verpflichtete Arzt, den die Langsamkeit oder Verweigerungshaltung der Bürokratie oft ankotzt und der das dann auch sagt. Gut getroffen?

Rühmann Ja, sehr gut. Fehlt vielleicht noch, dass Heilmann nicht an Hierarchien interessiert ist. Der ist ja mittlerweile wieder Oberarzt, dabei war er mal Klinikdirektor. Im wirklichen Leben hätte so jemand längst gekündigt – Heilmann nicht. Der ist jetzt froh, dass er den Stress los ist. Andererseits finde ich Heilmann manchmal unerträglich. Wirklich un-er-träg-lich. Diese Sturheit! Manchmal ist er richtig stumpf.

Vor allem im Privaten.

Rühmann Stimmt. Dass der abends nach Hause kommt und plötzlich zum flammenden Liebhaber wird – das ist Heilmann ziemlich fremd.

Werden Sie auf der Straße schon mal als Dr. Heilmann angesprochen?

Rühmann Das passiert öfter, aber ich bin da nicht beleidigt. Den Leuten fällt halt der Name nicht ein. Wenn ich James Bond auf der Straße treffe, würde ich vielleicht auch nicht sagen: Hello, Mr. Craig.

Ist Ihnen in der Serie mal der Gedanke gekommen, dass Sie selbst gern Arzt geworden wären?

Rühmann Nein. Als Kind musste ich in Magdeburg ein Praktikum im Krankenhaus machen. Also nein, diese Arbeitszeiten und dieser Geruch! War nicht meine Sache.

Jene Folge 742 war nicht unwichtig, weil es gerade Ihre Kollegin Dr. Globisch war, die Sie gerettet haben und mit der Sie ja nun gerade in der Serie liiert sind. Es gibt Fernsehzuschauer, die das nicht gut finden. Beste Freunde sollten nicht ein Paar werden, sagen sie, die reiben sich ja nur auf. Können Sie diese Kritiker verstehen?

Rühmann Ja, total. Aber es gibt auch diese Sehnsucht vieler Leute, dass die beiden eben doch zusammenkommen. Ich wäre vorher auch nicht auf den Gedanken gekommen, aber wenn es halt im Drehbuch steht, beginnt man, sich damit zu beschäftigen. Solche Situationen gibt es ja auch in anderen Serien, etwa bei „Grey’s Anatomy“. Bei Globisch und Heilmann wird man sehen, wie sich das entwickelt.

Ich persönlich habe es sehr bedauert, dass die Beziehung mit Katja Brückner nicht gehalten hat. Die Schauspielerin Julia Jäger kennen wir alle als die wunderbare Ehefrau von Uwe Kockisch als Commissario Brunetti, und so jemanden hätte man nach dem Tod seiner Frau Pia auch dem Dr. Heilmann gewünscht. Die beiden war ein wunderbares Paar, aber das Drehbuch hat sie getrennt.

Rühmann Ich habe das auch sehr bedauert. Aber Freunde im wirklichen Leben sind wir trotzdem, und in meinem kleinen Theater an der Oder, dem „Theater am Rand“, spielen wir ja immer noch gemeinsam – etwa in der Produktion „Liebe in Zeiten des Hasses“. Julia und ich haben uns immer im Auge, und wenn sich die Gelegenheit ergibt, machen wir etwas zusammen.

In Ihrer Rolle als Dr. Heilmann steckt ja eine Sehnsucht der Zuschauer: der Arzt als Mensch.

Rühmann Ja, wir sind Arzt- und Familienserie in einem. Da funktioniert das gut. Und die Leute gucken es so gern, weil sie – so absurd das klingt – danach zufrieden ins Bett gehen, und zwar mit einem der Welt gegenüber freundlichen Gefühl. Das wird mir sehr oft gesagt. Dabei ist es dramaturgisch nicht so einfach, einen wirklich sehr schweren Fall in den letzten zehn Minuten so hinzubiegen, dass da wieder Hoffnung oder mehr besteht.

Der zweitbeliebteste Arzt in der Serie dürfte Dr. Brentano sein. Warum?

Rühmann Vielleicht weil er von mir den Familienaspekt übernommen hat. Bei mir sind die Kinder aus dem Haus, bei ihm ist daheim immer etwas los.

Der Serie ist es sogar gelungen, einen Schauspieler, der im Fernsehen oft als Widerling eingesetzt wurde, zu einem guten Menschen zu machen: Ich meine Udo Schenk als Dr. Kaminski.

Rühmann Ja, das sehe ich ebenso. Aber es birgt auch eine Gefahr. Bei den Amerikanern ist das anders: Der Bösewicht bleibt immer der Bösewicht. Ich finde es etwas problematisch, dass diese liebenswerte Art von ihm plötzlich in den Vordergrund gestellt wird. Da werden Konfliktflächen einer Figur vermindert. Auch wenn die Verwaltungschefin plötzlich so zugänglich wird, verwaschen die Charakteristiken einer Figur. Oder als der Pfleger Brenner plötzlich selbst Arzt wurde, konnten gewisse komödiantische Aspekte nicht mehr zum Ausdruck kommen. Folgerichtig wurde er leider aus der Serie herausgeschrieben.

Sie stammen ja gebürtig aus Osterburg in der Altmark. Die Stadt gilt als Hochburg des Karnevals. Für uns am Rhein ist diese Frage immer wichtig: Haben Sie davon etwas abbekommen?

Rühmann Davon höre ich zum ersten Mal. Osterburg soll eine Hochburg des Karnevals sein?

Steht bei Wikipedia an prominenter Stelle.

Rühmann Ich freue mich, dass es Karneval gibt, aber ich gehöre nicht zu denjenigen, die sich gern verkleiden, auch nicht auf der Bühne. Aber ich verstehe im tiefsten Herzen, warum die Kölner so sind, wie sie sind. Ich war mal im Sommer bei einer Hochzeit in Köln, und auf einmal wurden Karnevalslieder gesungen, das können Sie sich nicht vorstellen. Da kam es sogar zu Darbietungen auf einer Bühne. Die waren entfesselt. Das muss seit Jahrhunderten tief in der Kölner Seele liegen.

Sie wollten Journalist werden und haben das auch studiert. Journalist in der DDR, das stelle ich mir schwierig vor, weil einem immer jemand auf die Finger guckt. Liege ich da falsch?

Rühmann Wissen Sie, warum ich Journalist werden wollte? Weil ich in der Schule gern Aufsätze geschrieben habe. Das Studium fand ich aber grausig, es hat mir überhaupt keinen Spaß gemacht.

Sie sollen dann zufällig in eine Studenten-Theaterproduktion reingerutscht und einmal sogar für Ulrich Mühe eingesprungen sein. Wie war das?

Rühmann An der Universität in Leipzig gab es das Poetische Theater Louis Fürnberg. Die machten von Volker Braun „Che Guevara oder Der Sonnenstaat“. Es war Amateurtheater von Studenten, trotzdem war es ein politisches Ereignis. Zur Premiere kam sogar Heiner Müller. Aber wir haben das Stück nur drei Mal gespielt, dann wurde es auf Intervention der kubanischen Botschaft verboten, weil wir das Bild Che Guevaras angeblich verfälscht hatten. Und ein Freund hatte mich mitgenommen, weil die Guerilleros brauchten. Ulrich Mühe war für einen von ihnen vorgesehen, der studierte damals ja auch in Leipzig, aber irgendwie gab ihm die Schauspielschule nicht frei. So wurde ich gefragt und sprang ein.

Wie viele Sätze hatten Sie?

Rühmann Einen. Es gab da eine Auseinandersetzung mit Che Guevara, er hat sich in Bolivien hart gegenüber Bauern des Landes verhalten. Und ich hatte den Satz: „Du willst sie töten.“ Ich aber habe immer gesagt: „Du willst sie ja töten.“ Da sagte die Regisseurin: „Thomas, das ,ja‘ muss weg. Das weicht den Gestus auf.“ Irgendwann habe ich das dann hingekriegt und bald auch größere Rollen gespielt.

Wann wussten Sie, dass das Ihr künftiges Leben sein würde?

Rühmann Meine damalige Frau hat mich damals in der S-Bahn gefragt: „Sag mal, willst du das eigentlich beruflich machen?“ Ich weiß nicht, ob ich ohne diese Frage den Schritt gewagt hätte. Und dann habe ich mich beworben. Natürlich war ich so arrogant zu glauben, dass ich keinesfalls durchfallen würde, und ich konnte in der Tat schon im Herbst an der Ernst-Busch-Schule in Berlin beginnen. Ich habe es nie bereut.

Trotzdem hilft Ihnen das Journalistische vielleicht doch noch, weil Sie ja auch Ihre Theaterprogramme selbst schreiben.

Rühmann Ja, und auch die Programmheft- und die Pressetexte. Ich lese ja immer noch gern Zeitung, und zwar in papierner, weniger in elektronischer Form. Ich lese wirklich wahnsinnig gern Zeitung.

Dann waren Sie am Maxim-Gorki-Theater, damals noch in Ost-Berlin – bis als erster Intendant aus dem Westen Bernd Wilms als Intendant kam. Da mussten Sie gehen.

Rühmann Ja, der hat alles entlassen, was man entlassen konnte. So etwas kannten wir ja bei uns in der DDR nicht, da wurde keiner gefeuert. Da war ich Mitte 30 und musste noch einmal neu anfangen.

Und wie kam es dann zu Dr. Heilmann?

Rühmann Der Firmenchef der Filmproduktionsgesellschaft Saxonia war Hans-Werner Honert, und mit dem hatte ich schon einmal einen Film gemacht. Die planten eine Krankenhausserie und überlegten, welche Schauspieler man für welche Rolle nehmen könnte. Und dann hat Honert mich mit in den Karton gesteckt. Bald kamen die ersten Probeaufnahmen, und für mich wurde es dünn. Ich hatte ja eine Familie mit zwei Kindern, die ich ernähren musste. Beim Casting in Potsdam war meine erste Spielpartnerin ausgerechnet Hendrikje Fitz, meine spätere Serien-Ehefrau – und nach unserem Vorspielen war alles gelaufen. Wir sind problemlos durch alle Instanzen durchgekommen.

Tolle Geschichte.

Rühmann Und wie! Im Januar 1998 hatte ich das „Theater am Rand“ gegründet, und im Februar erfuhr ich, dass ich ab Juni bei „In aller Freundschaft“ spielen werde.

Sie treten ja auch als Musiker auf, Sie singen und spielen Gitarre. Wie war Ihre musikalische Kindheit?

Rühmann Mein Vater war Schulleiter und Historiker, aber auch Chorleiter, bei uns zuhause wurde viel gesungen. Ich habe sechs Geschwister, und die fünf Mädchen haben beim Abwasch gesungen, ich habe mich immer gedrückt. Trotzdem wurden regelmäßig Volkslieder mehrstimmig gesungen.

Dazu braucht man Disziplin.

Rühmann Ja, ich übe aber nicht gern. Ich habe auch nie in meinem Lehrer einen Gitarrenlehrer gehabt, das Leben hat mich das Gitarrenspielen gelehrt. Habe ich mir selbst beigebracht. Ich saß da in meinem Zimmerchen und konnte Wolf Biermann üben. Durch die Schauspielschule wurde das dann mehr, es gab auch Projekte, bei denen ich Gitarre spielen musste. Und durch die Zusammenarbeit mit Tobias Morgenstern im „Theater am Rand“ wurde es dann noch intensiver.

Sie spielen ja gern auch Musik von Neil Young. Woher kommt die Liebe?

Rühmann Die ersten Platten, die ich bei einem West-Gastspiel des Maxim-Gorki-Theaters Anfang der achtziger Jahre gekauft habe, waren „Live Rust“ von Neil Young und „Abbey Road“ von den Beatles. Von Young oder auch von Mark Knopfler nehme ich dann gern die Musik, wenn ich deutsche Texte etwa von Hans-Eckardt Wenzel oder Gerhard Gundermann interpretiere.

Gab es ein Urerlebnis mit Young?

Rühmann Ja, bei mir war es „Helpless“. Damit traf er ins Innerste meines Herzens.

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