Zur Zukunft der katholischen Kirche Rom verliert an Leitungsmacht
Exklusiv | Salzburg · Auf dem Wachstumsmarkt Religion bleibt das Christentum ein Gewinner. Allerdings wird in der katholischen Kirche Rom an Einfluss weiter einbüßen, so der Theologe Hoff in seinem Gastbeitrag.
Die impulsivste Pfingstansprache des Jahres hat wohl Peter Sloterdijk gehalten. In der RP attestierte der Philosoph den umfassenden „Bedeutungsverlust der Kirche als Institution“ und die Rückführung ihrer religiösen Motive auf eine ethische Restmenge. Die „säkulare Ersetzung vormals kirchlicher Funktionen“ greife überall. Letztlich erscheint die Glaubwürdigkeit der Kirche für Sloterdijk erledigt – mit Blick auf ihre Kriminalgeschichte wie auf ihren „erhabenen Absurdismus“, den er am Glauben an eine Auferstehung der Toten festmacht.
Der Gedanke besitzt indes Konsequenz. Er arbeitet mit der Einsicht, dass man die Welt sinnbezogen erfassen kann. In den biblischen Schöpfungsgeschichten setzt sie sich fest. Die Welt und sich selbst verständlich machen zu können, beansprucht eine kreative Energie, die mit dem Namen Gott belegt wird: als Anfang von und in allem. Der Glaube an die Auferweckung des gekreuzigten Jesus hängt daran. Für Menschen, die seiner Botschaft vom Reich Gottes folgen, bringt er die unbegrenzte schöpferische Lebensmacht Gottes zur Geltung. Mit Seitenblick auf den Energieerhaltungssatz, wonach nichts verloren geht, sondern sich nur verwandelt, verfügt der christliche Auferweckungsglaube vielleicht doch über intellektuelle Anziehungskraft.
Um Verwandlung geht es in der Kirche. Was im Abendmahl geschieht, greift in die soziale Form des Glaubens über. Kirche ist Raum der Verwandlung von Tod in Leben. Die Bedeutung des einzelnen Menschen kennt kein Verfallsdatum: in der Taufe werden alle Menschen der Lebensmacht Gottes zugeordnet. Die katholische Krankensalbung bringt das am Lebensende zum Ausdruck. Selbst tödliche Schuld kann vergeben werden.
Angesichts einer langen Schuldgeschichte hält gerade das Bußsakrament der Kirche den Spiegel vor – aktuell in ihrem Missbrauchsskandal. Zu Recht erinnert Sloterdijk an einen „Macht- und Repressionsapparat von bedenklichem Umfang“.
Die Christentumsgeschichte belegt neben katastrophalem Lebenswiderspruch zum Evangelium Jesu Christi auch echte Wandlungsfähigkeit. Reformen im Dienst der Menschlichkeit.
In den kirchlichen Gegenwarten des 21. Jahrhunderts zeigt sich ein vielfarbiges Ensemble christlicher Lebensformen – nicht zuletzt in caritativem Engagement. Auch deshalb bleibt das Christentum ein Gewinner auf dem globalen Wachstumsmarkt Religion. Selbst die katholische Kirche gewinnt an Mitgliedern weltweit. Dabei vollzieht sich in ihr ein durchgreifender Gestaltwandel: Der römische Katholizismus löst sich auf. Während sich die katholische Kirche immer weiter globalisiert, nimmt die Leitungsmacht der römischen Zentrale an Bedeutung ab.
Rom bildete seit der Antike mit dem Bezug auf die Apostel Petrus und Paulus eine maßgebliche, zunehmend entscheidende Autorität für die katholische Kirche. In den Auseinandersetzungen mit der Reformation gewann das römische Kirchenprofil an Macht. Mit dem Katechismus, dem Messbuch, dem Ausbau der Kurie als Verwaltungsorgan bestimmten römische Formate die katholische Kirche überall. Im Kampf gegen die Moderne konzentrierte sich dieses Modell im 19. Jahrhundert zunehmend auf die Rolle des Papstes. Ewige Wahrheit sollte sein unfehlbarer Lehrprimat in den Wechselfällen der Geschichte garantieren.
Der Blick auf die katholischen Kirchengegenwarten zeigt: die römische Normmacht verliert an Steuerungsfähigkeit. Der Papst vom anderen Ende der Welt steht dafür. Der Weg zu einer synodalen Kirche, wie sie Franziskus will, setzt ein neues Modell von Entscheidungsprozessen in Gang. Es führt aus vermeintlicher Eindeutigkeit, von Rom diktiert, in Debatten um die Überzeugungskraft von Argumenten. Der dogmatische Kontrollverlust in der Frage der Frauenordination, Umorientierungen in der Sexualethik und nicht zuletzt der Bankrott der Kirchenleitung im Missbrauchskomplex vollziehen die Auflösung der römisch-katholischen Kirchenform. In ökumenischer Hinsicht entsprechen dem gelebte Übergänge zwischen den Konfessionen.
Die fehlende Kontrollmacht Roms in einer digitalisierten Gesellschaft verstärkt diese Auflösungsdynamik. Zugleich bestätigt sie Wandlungsfähigkeit: „Die Zeit der Selbstüberschreitung des Christentums ist angebrochen“ (Tomas Halik). Ob die katholische Kirche auf diesem Weg dem Bedeutungsverlust, den Sloterdijk für ausgemacht hält, weiter entgegengeht oder ob sie neue Attraktionen auslöst – daran entscheidet sich mehr als nur ihre Zukunft. Denn darin ist Sloterdijk Recht zu geben: Die Kirche bleibt als Verbindung von Menschen über alle Grenzen hinweg eine Idee „von elementarer Bedeutung“.