Mobile Produktion des Jungen Schauspiels Der Schimmelreiter kommt in der Gegenwart an

Düsseldorf · Was hat Theodor Storms Novelle um den Kampf gegen Naturgewalten mit der heutigen Umweltproblematik zu tun? Erstaunlich viel, wie die Inszenierung des Jungen Schauspiel lehrt.

 Eduard Lind aus dem Ensemble des Jungen Schauspiel ist einer der Akteure im „Schimmelreiter“.

Eduard Lind aus dem Ensemble des Jungen Schauspiel ist einer der Akteure im „Schimmelreiter“.

Foto: Thomas Rabsch

Als mobile Produktion des Jungen Schauspiels hat kommenden Sonntag „Der Schimmelreiter“ Premiere in der Freizeitstätte Icklack. Regie führt Juliane Kann, sie schrieb auch die Theaterfassung nach der Novelle von Theodor Storm. Dreh- und Angelpunkt ist beide Male der Mensch und sein bedrohter Lebensraum. Nur wurden hier die Aspekte leicht verschoben, Nachhaltigkeit und Naturschutz rückten in den Fokus. „Themen, die mich schon länger beschäftigen“, sagt Juliane Kann. Was gleichermaßen für das Junge Schauspiel gilt. „Wir haben seit einiger Zeit eine Nachhaltigkeits-AG am Haus, die abteilungsübergreifend strukturiert ist“, berichtet Dramaturg David Benjamin Brückel. „Es war uns wichtig, zumindest eine Position im Spielplan mit Klimagerechtigkeit zu besetzen.“

Auf der Suche nach einem geeigneten Stoff kam Juliane Kann ins Spiel. Mit „Nachtgeknister“ (2014), „Sagt der Walfisch zum Thunfisch“ (2018) und „Ein Sommer in Sommerby“ (2020) hat sie bereits mehrere Stücke in Düsseldorf inszeniert. In „Der Schimmelreiter oder Unsere Welt vom Ende her denken“ geht es neben der dramatischen Geschichte um Deichgraf Hauke Haien, seine Frau Elke und eine verheerende Katastrophe auch ganz konkret um die unschönen Hinterlassenschaften der Menschen, die eine Gefahr für die Natur darstellen. Schauplatz des Stücks ist die Nordseeküste. Für den Bezug zum Meer stattete Marie Gimpel die Bühne mit großen Mengen an Plastikmüll aus, transparent und in den Farben Weiß und Blau. Und so ausgeklügelt positioniert, dass man sich Wasser, einen Deich oder einen Weg am Meeressaum vorstellen kann. Woher sie das alles hat? „Zuerst starteten wir einen Aufruf im Theater“, erzählt Marie Gimpel. „Die Leute räumten dann ihre Keller aus und versorgten uns. Einiges haben wir auch von der Straße aufgesammelt.“

Nun sind ja, zumindest vorerst, für den „Schimmelreiter“ ausschließlich mobile Spielstätten vorgesehen. Die Requisiten werden dafür in einen kleinen Transporter verladen. „Das gesamte Müllrepertoire passt in fünf Baustofftüten, die unkompliziert zu verstauen sind“, sagt Juliane Kann. „Sonst brauchen wir nur noch vier Scheinwerfer, ein Mikrophon und unsere zwei Windkrafträder.“ Damit meint sie die Fahrräder, die auf der Probebühne parken. „Sie symbolisieren gleichzeitig den Schimmel“, ergänzt Marie Gimpel. „Räder werden bestiegen, um davonzureiten, zurück bleibt eine Staubwolke. Wir haben auch noch ein kleines Polkappenpferd aus Eis dabei, das über die Dauer des Stücks schmilzt und wie von Geisterhand verschwindet.“

Die Inszenierung wurde für Schulen, Freizeitstätten oder Kulturkirchen entwickelt, die für eine Einladung lediglich eine ausreichend große Spielfläche brauchen, keine Bühne. „Es ist gerade bei diesem Stoff nicht unser Ansatz, einem jungen Publikum die Welt von oben herab zu erklären“, sagt Dramaturg Brückel.

Eva Maria Schindele und Eduard Lind aus dem Ensemble des Jungen Schauspiels sind die einzigen Akteure. Sie tauschen die Geschlechter, er spielt die Frau, sie den Mann. „Wir fanden das eine charmante Idee“, erläutert die Regisseurin, „mit ihr kommt eine gewisse Progressivität in die Handlung. Weil die Namen der Personen oft genannt werden, fällt die Zuschreibung nicht schwer.“ Wie die Leser der Novelle von dem Erzähler, werden die Zuschauer von den Schauspielern unmittelbar angesprochen. Dadurch entstehe ein Raum des gemeinsamen Fühlens und Denkens.

Von 150 Seiten der ersten Fassung blieb am Ende ein Destillat von 40 Seiten übrig. „Klingt nach wenig, ist aber noch immer sehr fordernd. Würde man das nicht so konsequent herausschälen, könnte man schnell den Faden verlieren“, sagt Juliane Kann lachend. „Zumal die Handlung völlig humorfrei ist.“ Der „Schimmelreiter“ von Storm mündet in eine Tragödie. Und das Stück? „Es endet mit der Überzeugung, dass wir etwas verändern müssen und dem Glauben, dass es gelingen kann“, sagt sie. Hauke und Elke sind bei uns von Anfang an schon Geister. Als Verweis auf den Schimmelreiter, der als Menetekel durch die Geschichte irrt.“

Juliane Kann ist in Mecklenburg-Vorpommern aufgewachsen. Nicht weit weg vom Meer, aber wiederum nicht nah genug, sagt sie, um seine Bedeutung für das Ökosystem wirklich zu begreifen. Es bringe aber nichts, Plastik gänzlich zu verteufeln, eine im Grunde tolle Erfindung. „Klüger wäre es, zu überlegen, was wir besser machen können. Jugendliche aus der Generation unserer Zuschauer haben den Mut und die Motivation, auf die Straße zu gehen. Wir sollten sie darin bestärken und es gemeinsam anpacken.“

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