Düsseldorf Theater in der Thai-Küche

Düsseldorf · Am Düsseldorfer Schauspielhaus inszeniert Anna-Sophie Mahler das preisgekrönte Drama "Der goldene Drache" von Roland Schimmelpfennig, ein Episodenstück über die Bewohner eines Hauses mit Thai-Restaurant. Gute Darsteller, raffiniertes Bühnenbild, doch das Stück bleibt auf Distanz.

Er ist ein Namenloser in Deutschland. Ein Migrant ohne Papiere, der jeden Job annehmen muss. So arbeitet der junge Chinese in der engen, stickigen Küche eines Thai-Restaurants und wird von den anderen nur "der Kleine" genannt. Doch so familiär behütet das klingt, dem Kleinen geht es schlecht. Er hat Zahnschmerzen. Quietschende, blitzschlaggrelle, alles andere in den Hintergrund drängende Schmerzen. Zum Arzt gehen aber kann er als Illegaler nicht. Und so machen sich die Küchen-Kollegen ans blutige Werk. Mit einer Rohrzange brechen sie ihm den rebellischen Zahn aus dem Mund. Nur wie man Blutungen stoppt, davon haben sie keine Ahnung.

In seinem Stück "Der goldene Drache", das jetzt am Düsseldorfer Schauspielhaus Premiere hatte, blickt Roland Schimmelpfennig hinter die dezenten Milchglasscheiben, die in der deutschen Gastronomie die Arbeitenden von den Genießenden, oft genug auch die Illegalen von den Bürgern mit Ausweis und Vergnügungsberechtigung trennen. Doch will der Dramatiker diese Welt nicht erkunden, nicht realistisch vorspielen, wie es zwischen Bratpfannen und Wokschüsseln so zugeht. Schimmelpfennig ist ein Autor, dem Andeutungen genügen. Und so verwebt er die traurige Geschichte vom illegalen Chinesen mit Episoden anderer Figuren aus dem Haus des Thai-Restaurants.

Da erzählt er etwa von einer schwangeren Frau, deren Freund auf keinen Fall Vater werden möchte, von einem Mann, der seine Aggressionen an einer Zwangsprostituierten auslässt, oder von zwei Stewardessen, die nach einem Langstreckenflug asiatisch speisen und sich wenig zu sagen haben, bis am Boden ihrer Suppenschale ein blutiger Zahn auftaucht. Wie in Filmen, die im Hotel spielen, streift das Stück Lebensläufe, öffnet hier und da eine Tür, doch wird keine Episode auserzählt, das Thai-Restaurant und die unkontrollierte Flugbahn eines extrahierten Zahns müssen als lose Verbindung genügen.

Kunstvoll wird dieser an sich banale Reigen, weil Schimmelpfennig seine Episoden auch noch elegant mit einer Fabel durchwirkt. Es ist die Geschichte von der arglosen Grille, die den gesamten Sommer nur zirpt, und der fleißigen Ameise, die für derlei Schöngeisterei wenig Verständnis hat, folglich von ihren Vorräten nur abgibt, wenn ihr die Grille zu Diensten ist. Diese Verschränkung ist kunstvoll, denn auf einmal ist da mit der Stimme der Ameise die Selbstgerechtigkeit im Spiel. Hat sie nicht tatsächlich geschuftet und soll nun teilen? Die Zumutung der Caritas, ohne die Menschlichkeit nun mal nicht zu haben ist, wird da deutlich, und die unverschämte Leichtigkeit, mit der Schimmelpfennig die alte Fabel für seine Zwecke nutzt, ist ein Ausweis seines Könnens.

Bei den Mülheimer Stücketagen hat dem Autor das im vergangenen Jahr den Dramatikerpreis eingetragen. Nachdem er das Stück selbst am Wiener Burgtheater zur Uraufführung gebracht hat, setzt es nun die junge Regisseurin Anna-Sophie Mahler auf der kleinen Bühne in Düsseldorf in Szene. Sie hält sich an Schimmelpfennigs Vorgabe, nach der junge Rollen manchmal von alten Darstellern gespielt werden, Männer von Frauen und umgekehrt. Und sie stellt die Figuren auch mehr aus, als sie lebendig werden zu lassen. Allerdings verkompliziert sie diese Anlage noch durch einen bühnenbildnerischen Kniff: Das Publikum wird geteilt, die Bühne (Ralf Käselau) liegt in der Mitte zwischen den Publikumstribünen. Das hat den sinnigen Effekt, dass die Zuschauer einander beim Beobachten beobachten, der Andere, der Fremde sitzt immer im Blick. Allerdings spielen die Schauspieler auf zwei Seiten einer durchsichtigen Aquariumswand, so dass zu den vielen Rollenwechseln auch noch Seitenwechsel treten. Die werden von den durchweg überzeugenden Darstellern zwar souverän vollzogen, doch vergrößert dies noch die Distanz zum Publikum.

Nun hat Schimmelpfennig Verfremdungseffekte in seinem Stück schon angelegt, der Zuschauer soll sich nicht in Mitempfinden ergehen, sondern reflektieren. Doch Mahler setzt die Schauspieler auch noch als Geräuschemacher ein, stellt sie anfangs sogar vor Stehpulte, auf denen die Textbücher bereitliegen. Da wird aus Theater szenische Lesung, Hörspiel gar. Das ist statisch und wenig fesselnd. Die besten Momente sind dagegen die, da sich die Darsteller aus dem Zurschaustellen befreien und schöne Miniaturen liefern. Rainer Galke und Winfried Küppers etwa als ausgelaugte Stewardessen oder Nadine Geyersbach als jammernder Chinese und verzagte Grille. Wie sie sich da im Pappmascheekostüm durch die Aquariumswand in die Szene schiebt, das ist schön gelöst und macht aus einem kunstvollen Text tatsächlich Theater.

(RP)
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