Tag der Wahrheit für die Fälscher

Vier Angeklagte sollen gefälschte Meisterwerke in den Kunstmarkt geschleust und damit fast 16 Millionen Euro kassiert haben. Vor dem Kölner Landgericht begann gestern der auf 40 Verhandlungstage anberaumte Prozess. Kontoauszüge aus Andorra könnten Licht in die Sache bringen.

Köln Am ersten Tag des Prozesses vor dem Kölner Landgericht sagten die vier Angeklagten fast nichts. Bevor Staatsanwältin Kathrin Franz gut eine Stunde lang die Anklageschrift verlas und dabei detailliert 14 Fälle mutmaßlichen Betrugs aufrollte, näherte sich der Vorsitzende Richter Wilhelm Kremer den Hauptpersonen des Vormittags behutsam mit Fragen zur Person.

Sein Interesse galt zunächst Wolfgang Beltracchi (60), dem – darauf jedenfalls deutet vieles hin – Hauptdrahtzieher im Kunstfälscher-Skandal. Wo er denn seinen Wohnsitz habe, fragte der Richter in rheinischem Tonfall und mit milder Ironie – in Freiburg? Nein, natürlich weiß der Richter, dass Beltracchi seinen Wohnsitz zurzeit im Gefängnis hat, in Untersuchungshaft. Beltracchi gab aber immerhin zu Protokoll, dass er zuletzt in Frankreich gelebt habe, im Hafenstädtchen Mèze am Mittelmeer, und dass Freiburg lediglich der Ort seiner Verhaftung sei – ein Ort allerdings, in dem er auch lebte. Polizeilich gemeldet sei er auf seinem dortigen Anwesen nicht gewesen, bloß "aufhältig", wie das im Juristendeutsch heißt. Dieses Anwesen war luxuriös, das Gegenteil jenes Anwesens, das er sich seinerzeit in Viersen selbst hergerichtet hatte.

Beltracchi, ein Mann mit blondem, schulterlangem Haar, Bärtchen, grauem Jackett und weißem, oben großzügig aufgeknöpftem Hemd über der Hose, wirkt trotz fortgeschrittenen Alters, als arbeite er als Animateur auf Mallorca. Selbst die U-Haft hat ihm das Lächeln noch nicht vergehen lassen. Sein Name fiel in der Anklageschrift am häufigsten.

Ein paar Stühle weiter saß seine Ehefrau Helene (53): in Schwarz, lange dunkelblonde Haare, weitaus weniger souverän wirkend als ihr Ehemann. Über Eck sah sie ihre Schwester, Jeanette Susanne Spurzem (54), die einzige Angeklagte, die sich auf freiem Fuß befindet: elegant, streng. Der Vierte im Bunde hatte seinen Platz unmittelbar vor dem Richter: Otto Schulte-Kellinghaus (67) aus Krefeld, graues Haar, weißes Hemd und schwarze Weste, Typ gutmütiger Rentner.

Das also sollen jene vier Menschen sein, denen gewerbs- und bandenmäßig schwerer Betrug in 14 Fällen in Tateinheit mit Urkundenfälschung vorgeworfen wird? Die seit 2001 elf bekannte expressionistische Werke gefälscht und auf dem internationalen Kunstmarkt verkauft haben sollen, während es in drei weiteren Fällen beim Versuch blieb? Und die durch Fälschung und Betrug fast 16 Millionen Euro kassiert haben sollen?

Die Kontobewegungen, welche die Tätigkeit der vier ausgelöst hat, ist jedenfalls dokumentiert. Richter Kremer erläuterte, es sei nicht leicht gewesen, mit Banken in der Schweiz und in Andorra zusammenzuarbeiten. Fast ein Jahr habe es gedauert, bis die Belege endlich vorlagen. Jetzt muss alles gesichtet und geprüft werden.

Aufschlussreicher als die teilweise verwirrenden Einzelheiten der Anklage ist das Atmosphärische, das daraus spricht. Offenbar verstanden es die Angeklagten, Galeristen und Kunstexperten auf Augenhöhe zu begegnen. So luden sie den Max-Ernst-Kenner Werner Spies auf ihr Anwesen in Mèze ein und gaukelten ihm vor, dass er sich unter Gutsituierten befinde. Spies' Gutgläubigkeit ging so weit, dass er dem Museum Würth in Süddeutschland den Kauf eines vermeintlichen Max Ernst für 4,4 Millionen US-Dollar vermittelte.

Selbstverständlich war dem Quartett klar, dass in Gesprächen mit Interessenten immer wieder die Frage nach der Echtheit der Objekte aufkommen würde. Denn die Legende von den angeblichen Kunstsammlern Werner Jägers und Johann Wilhelm Knops, aus deren Kollektionen die angebotenen Werke stammen sollten, war dürr – so dürr, dass sie ihnen am Ende zum Verhängnis wurde. Denn für keine der Sammlungen gab es Belege ihrer Existenz.

So wählten die Angeklagten einen anderen Weg: Sie ließen ihre Fälschungen von Experten begutachten. Und selbst wenn ein Restaurator drei von vier vorgelegten Werken als Fälschungen enttarnte, sah das Quartett doch zumindest eine Fälschung zum Original geadelt. Übrigens sollen die vier bei Auktionshäusern immer wieder auch echte Werke zur Versteigerung eingereicht haben, so dass diese Häuser nicht von vornherein Verdacht schöpfen mussten.

Als gegen Ende der langjährigen Fälschertätigkeit der Ruf nach Echtheits-Beweisen immer drängender wurde, ließen sich die Vorgeladenen laut Anklageschrift noch einmal etwas Neues einfallen: Sie legten den Interessenten ein künstlich vergilbtes Schwarzweiß-Foto vor, das Josephine Jägers in den 1930er Jahren vor einigen der angepriesenen Gemälde zeigt: einem Pechstein, daneben einem Kees van Dongen. Dass sich die Bilder angeblich so lange schon in Familienbesitz befanden, sollte zusätzliches Vertrauen schaffen. Natürlich war auch dieses Foto gefälscht.

Erst als sich die Zweifel an der Existenz der Sammlungen Jägers und Knops verdichteten und noch dazu aufflog, dass der an zahlreichen Fälschungen befestigte Aufkleber "Sammlung Flechtheim" – Verweis auf einen der großen Kunsthändler der Weimarer Republik – ebenfalls gefälscht war, brach das Lügengebäude zusammen.

Das also ist in groben Zügen die Bestandsaufnahme zu Beginn des Kölner Prozesses. Weiterungen sind nicht auszuschließen, denn – auch dies kam beim Auftakt zur Sprache – es könnten noch mehr, bislang unbekannte Personen an den Fälschungen beteiligt sein. Und wahrscheinlich wird es auch noch um mehr Fälschungen gehen. Der Richter wird wissen, warum er 40 Verhandlungstage angesetzt hat. 170 Zeugen wurden benannt. Am 21. September geht es weiter. Urteil: frühestens März 2012.

(RP)
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