Kulturgeschichte der großen Begegnungen Sternstunden der Menschheit

Düsseldorf · Kulturgeschichte kann man auch anhand der Begegnungen großer Persönlichkeiten erzählen. Platon und Aristoteles etwa stritten über Fragen, die uns heute noch beschäftigen. Und in der Ehe von Marilyn Monroe und Arthur Miller schien sich die ewig gültige Sehnsucht nach Perfektion zu erfüllen.

 Eines der großen Liebespaare der Geschichte: Arthur Miller und Marilyn Monroe.

Eines der großen Liebespaare der Geschichte: Arthur Miller und Marilyn Monroe.

Foto: Bildband "Marylin Monroe - Fotografien einr Legende"

Man könnte doch mal eine Kulturgeschichte der großen Begegnungen schreiben. Eine Erzählung darüber, wie sich die bemerkenswerten Persönlichkeiten ihrer jeweiligen Zeit trafen, miteinander diskutierten, sich austauschten, einander inspirierten und widersprachen. Zum Prickel der Vorstellung, wie das wohl abgelaufen ist, als Machiavelli zum Beispiel da Vinci begegnete, wie Bismarck und Lassalle sich die Hände reichten und Lennon und McCartney "Hallo" sagten, kommt der mögliche Erkenntnisgewinn: Kann es wirklich sein, dass das Treffen zweier ausgesuchter Personen die Menschheit weiterbringt? Entstand aus dem Zusammentreffen womöglich ein Funkenflug, der noch das Leben der Heutigen ein bisschen erhellt?

Es gibt Hunderte Kombinationen, an denen man eine solche Geschichte von den Anfängen bis jetzt erzählen könnte, aber beginnen sollte man vielleicht mit Platon und Aristoteles. Rund 2400 Jahre ist es her, dass die beiden sich bei Athen das erste Mal sahen. Platon war mehr als 40 Jahre älter als sein Schüler. Er selbst hatte sich als 20-Jähriger dem bewunderten Sokrates angeschlossen und war ein Jahrzehnt lang bis zu dessen Tod bei ihm geblieben. Sokrates hatte Platon gelehrt, sich selbst über das richtige Handeln zu befragen, also im Grunde nach dem Sinn des Lebens zu forschen. Platon entwickelte weiter, was er bei Sokrates gehört hatte, und daraus ging seine Ideenlehre hervor: Die wahrgenommene Welt ist demnach nur ein Abbild von Ideen. Ideen existierten für Platon nicht nur zu ethischen Vorstellungen, sondern auch für alle stofflichen Dinge.

Das Höhlengleichnis

Zur Veranschaulichung diente ihm das berühmte Höhlengleichnis: In einer Höhle sitzen Gefangene. Seitdem sie denken können, sind sie festgekettet. Alles, was sie sehen, sind Schatten auf einer Wand. Die stammen von Figuren, die von Menschen hinter ihnen vor einem Licht bewegt werden. Wenn einer dieser Menschen hinter den Gefangenen spricht, glauben die Gefangenen, die Stimmen stammten von den Schatten. Was würde geschehen, fragt Platon nun, wenn man einen der Gefangenen befreite und hinter sich schauen ließe? Er sähe den Ausgang der Höhle und die Menschen, die die Figuren hochalten. Und würde er dann noch durch den Ausgang nach draußen treten, entdeckte er die Welt. Er würde die Sonne sehen, und wenn er zurückkehrte und den anderen Gefangenen davon erzählte, würde ihm keiner glauben. Platon wollte auf das Übergeordnete aufmerksam machen, das hinter dem steht, was der Mensch wahrnimmt. Er wollte den Verstand von den Sinnen trennen, um zum Kern allen Daseins vorzustoßen. Hinter die Erscheinungen, so Platon, gelangt man erst, indem man die Täuschung der Sinne überwindet.

Platon zeigt in den Himmel der Ideen, Aristoteles auf den Boden der Tatsachen

Der Historiker und Philosoph Helge Hesse kennt sich aus mit den Begegnungen großer Geister, er hat über einige davon ein Buch geschrieben, und er erzählt, wie das war, als Aristoteles den Kopf über Platon schüttelte. "Mit dem Höhlengleichnis konnte sich Aristoteles noch anfreunden", sagt Hesse, "aber die Ideenlehre an sich taugte für seine Begriffe nicht, um das Hier und Jetzt zu erklären." Aristoteles wollte keine Ideen betrachten, sondern die Dinge selbst. Sie müsse man erforschen und ordnen, um Antworten auf die Fragen nach dem Sinn zu erhalten. Die Philosophie teilte sich fortan in zwei Richtungen; Raffael hat das in seinem Fresko "Die Schule von Athen" (1511) schön ins Bild gebracht: Platon zeigt in den Himmel der Ideen, Aristoteles auf den Boden der Tatsachen.

Helge Hesse sagt, dass sich aus fast jeder dieser prominenten Begegnungen eine Frage ergab, die den Menschen als Anregung und Denk-Inspiration dienen kann. Bei Platon und Aristoteles ging es um die Gestalt der Wirklichkeit und daraus folgend um Sitte und Ethos. "Berühmte Persönlichkeiten aller Zeiten haben für uns oft etwas Traumhaftes und Mythisches. Aber sie rätselten über dieselben Fragen wie wir. Und indem sie darüber diskutierten, kamen sie der Antwort näher." In jedem Fall halfen sie uns, die Welt zu beschreiben und also zu begreifen.

Man nehme nur Goethe und Alexander von Humboldt. Goethe war Mitte 40, als er 1794 den 20 Jahre jüngeren Humboldt in Jena traf. Humboldt hatte soeben in Rekordzeit sein Bergbaustudium abgeschlossen. Goethe interessierte sich damals stärker für Naturwissenschaften als für Dichtung, und er fühlte sich von dem jungen Kerl angeregt, der davon schwärmte, wie toll es wäre, die ganze Welt zu erfassen und dabei die Ästhetik einzubeziehen. Sie trafen einander mehrfach, sie besuchten zusammen Vorlesungen, etwa über Anatomie, und wenn sie auseinandergingen, setzten sie sich danach hin und schrieben über die Gemeinsamkeit von Pflanzen, Tieren und Menschen, über die Möglichkeit einer Urpflanze und über Geologie. "Was für ein Mann!", diktierte Goethe seinem Vertrauten Eckermann. "Meine naturhistorischen Arbeiten sind durch seine Gegenwart aus ihrem Winterschlafe geweckt worden."

Bevor Humboldt zu der Reise aufbrach, auf der er den 6300 Meter hohen Chimborazo in Ecuador fast bis zur Spitze erklomm und das Quellgebiet des Amazonas erforschte, hielt er sich mehrere Wochen in Goethes Umfeld auf. "Diese Zeit steht für die Begeisterung über das Neue, für Dogmenferne und Humanismus", sagt Hesse. Die beiden Männer versuchten die Grenzen der eigenen Kultur zu überwinden und die Vielseitigkeit des Daseins zu erkunden. Welches Wesen hat die Natur?, so lautet die Frage, um die es beiden ging. Die Erkenntnisse fanden Eingang in Humboldts Buch "Ansichten der Natur" (1808), das wiederum Darwin zu seinen Forschungen anregte. So ragen denn diese Begegnung und das Wissen, das sich daraus ergab, weit in unsere Zeit hinein.

Manchmal ist es das gemeinsame Interesse, das erhellt - und manchmal auch tragisches Scheitern

Die Treffen zweier Persönlichkeiten können so etwas sein wie "Sternstunden der Menschheit" im Sinne Stefan Zweigs, Momente geschichtlicher Zuspitzung und sinnlicher Aufklärung. Manchmal befeuert Rivalität die Erkenntnis: "Aristoteles schlägt gegen mich aus wie ein Fohlen gegen seine Mutter", schrieb Platon. Manchmal ist es das gemeinsame Interesse, das erhellt. Und manchmal auch tragisches Scheitern. So wie im Falle von Marilyn Monroe und Arthur Miller.

Die berühmteste Schauspielerin der Welt und der zu jener Zeit größte Dramatiker der USA ("Tod eines Handlungsreisenden") heirateten 1956. Diese Ehe galt als Ideal an sich, Schönheit und Charme verbanden sich mit Kraft und Intellekt. Aber die Sehnsucht nach Perfektion erfüllte sich nur scheinbar. Monroe und Miller fanden nie wirklich zueinander, jeder blieb in seinem Milieu, letztlich im Klischee verhaftet und dem Schein verpflichtet. Hinzu kamen Drogen, Eitelkeit und die Verschiedenheit der Lebenswelten. Perfektion war eine Illusion. Am Ende versuchte Miller, die Ehe mit einem Drehbuch zu retten, er schrieb "Misfits", Monroe spielte die Hauptrolle, und es wurde ein beklemmender Film über die schmerzhafte Suche nach Erfüllung. Noch vor der Premiere im Jahr 1961 ließen sich die beiden scheiden. Ein weiteres Jahr später war Marilyn Monroe tot.

Auf die großen Menschen der Vergangenheit kann man rückblickend ein wenig so schauen wie auf die Götterwelt der Antike. Jede Person hat einen eigenen Charakter, und in der Begegnung zweier Figuren reiben zwei Prinzipien aneinander: Aus Reibung entsteht Wärme, und aus dieser Wärme entsteht Erkenntnis. Eine davon ist, dass jede Generation genau jene Fragen als neu diskutieren muss, über die schon die Ahnen gestritten haben. Antworten müssen je neu gefunden werden. Es geht immer weiter, es geht nur im Dialog.

Man kommt an kein Ende.

(hols)
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