Düsseldorf Dem König geht der Horror aus

Düsseldorf · Stephen Kings Roman "Revival" ist packend geschrieben, schwächelt aber.

Stephen King hat ein perfides Talent. Gemeint ist nicht seine Fähigkeit, Alltägliches in schieres Grauen zu verwandeln. Vielmehr ist es die Art, seine Protagonisten so zu konstruieren, dass sie den Leser packen, ihn nicht loslassen, ihn regelrecht verfolgen - nur um sie dem Leser dann wegzunehmen. In seinem neuesten Werk, "Revival", kreiert King gleich zwei dieser Menschen, die einem unter die Haut gehen - und dann in den Abgrund stürzen.

Jamie Morton begegnet als Kind dem charismatischen jungen Pfarrer Charles Jacobs. Er ist neu in der neuenglischen Kleinstadt, in der Jamie lebt. Die beiden verbindet sofort eine tiefe Sympathie füreinander. Doch dann schlägt das Schicksal zu. Bei einem Autounfall verliert Jacobs seine schöne junge Frau und den gemeinsamen Sohn. Enttäuscht vom Leben und seines Glaubens beraubt, wendet sich Jacobs von Gott ab und widmet sich seiner zweiten Leidenschaft, der Elektrizität.

Dies ist die Stelle, an der das Kopfkino beginnt. Jacobs will den Verlust seiner Familie nicht akzeptieren. Und die Experimente, die er mit einer "geheimen Elektrizität" durchführt, scheinen alles andere als natürlich zu sein. Sie heilt Menschen, hat aber ungeahnte Nebenwirkungen.

In einem Interview erklärte Stephen King, sein neuestes Werk sei "Furcht einflößend. Ich will über dieses Buch gar nicht mehr nachdenken. Es ist ein fieses, düsteres Werk". In Anbetracht dessen traut sich der Leser kaum, sich vorzustellen, wohin all das führen könnte - und wird enttäuscht.

Die Geschichte, geschildert aus der Sicht Jamie Mortons, der später als drogenabhängiger Gitarrist selbst einen Haufen Probleme hat, erstreckt sich über fünf Jahrzehnte, in denen die beiden Protagonisten immer wieder aufeinandertreffen. Charles Jacobs kommt dem Wahnsinn immer näher, während Jamie die Liebe zu Frauen und Musik entdeckt, schließlich sein Leben auf die Reihe bekommt, ein wenig jedenfalls. Denn Jacobs und die Angst vor dem, was mit ihm vorgeht, gehen ihm nie aus dem Sinn.

Dem Leser schwant allmählich, dass es spannender gewesen wäre, Charles' Leben zu begleiten. Denn im Grunde ist Jamie nur die Nebenfigur, die das ganze Grauen gar nicht begreifen kann - ebenso wenig wie der Leser, der viel zu weit weg ist vom Geschehen. Und so ist das Finale ein kleines "Huh" statt des großen Grauens, das King angekündigt hatte.

"Revival" ist damit wieder einmal eine großartig geschriebene Geschichte, die den Leser wegen der eindringlichen Charaktere weiter vorantreibt, ihn am Ende aber enttäuscht. Das liegt nicht am fehlenden Grauen - auch Kings letzter Roman "Mr. Mercedes" setzt auf den "alltäglichen" Horror, einen Serienkiller, statt auf ein Schreckgespenst.

Das ist prinzipiell in Ordnung und hat schon in anderen King-Romanen funktioniert. Doch auch in "Mr. Mercedes" geht dem einstigen "Meister des Horrors" die Puste aus, löst sich am Ende alles in Wohlgefallen auf.

Das neue King-Werk ist unterhaltsam und packend erzählt. Wer allerdings einen King-Klassiker erwartet, hat Pech gehabt.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort