Starfotograf Thomas Ruff in München
Ab heute zeigt der Düsseldorfer Fotograf im Haus der Kunst eine Werkschau mit allen neuen Zyklen. Bei einem Atelierbesuch erzählt der Becher-Schüler von der Entwicklung seiner Bilder und von der Kraft der Fotografie.
Düsseldorf/München Er gehört mit Andreas Gursky und Thomas Struth zur weltberühmten Düsseldorfer Fotoklasse von Bernd und Hilla Becher. Die "Struffskys" nennt man sie und meint damit heute noch eine Marke, wenn auch jeder der drei Protagonisten seinen eigenen Weg gegangen ist. Wenn das Münchner Haus der Kunst ab morgen das Werk von Thomas Ruff ausbreitet, dann zeigt es Serien aus allen Schaffensperioden: Analog erstellte Arbeiten, digitale und solche, die ganz ohne Kamera entstanden. Auch die großen Porträts, die Ruff berühmt gemacht haben, seine frühen "Interieurs", Zeitungsfotos, die Serien "jpgs" und seine erotischen "Nudes".
Ruff wollte als Jugendlicher Astronom werden, in zwei Zyklen zeigt er die Sterne und Bilder vom Mars. Die Neugierde hat sein Werk im Laufe von rund 30 Jahren immer wieder zu neuen Versuchsanordnungen getriben. Seine Fotos erscheinen in kleinen Auflagen, meist gibt es nur drei Abzüge. 30 000 bis 80 000 Euro gibt er als Preis an. Der schönste Moment in seinem Leben sei gewesen, als er mit künstlerischer Fotografie sein erstes Geld verdiente. Mehr verrät Thomas Ruff beim Treffen in seinem Atelier.
Herr Ruff, passt die Marke Struffsky heute noch zu Ihnen?
Ruff Ja. Es ist noch eine Marke, was der Vereinfachung dient. Zumindest mein Name ist komplett darin.
Hatten Sie drei während des Studiums viel miteinander zu tun?
Ruff Struth studierte vor meiner Zeit. Andreas Gursky kam nach mir. Wir haben uns künstlerisch nicht untereinander ausgetauscht.
Sind Sie Freunde?
Ruff Man kann das schon Freundschaft nennen. Dazu gehören auch die anderen aus der Klasse.
Wie beschreiben Sie das, was Sie von den beiden anderen Fotokünstlern unterscheidet? Ist es die Heterogenität Ihres Werkes oder auch der experimentelle Charakter Ihrer Arbeiten?
Ruff Ich glaube, das trifft zu. Ich entwickle immer neue Methoden, um die Fotografie voranzutreiben.
Die Bechers gelten als visuelle Forscher – sind Sie auch einer?
Ruff Man könnte sagen, dass ich der Forscheste bin. Ich versuche, die Herstellungsweise zu variieren und eine Grammatik in die Fotografie mit einzubringen.
Ist die Fotografie in ihrer Wirkkraft bedroht durch die bewegten Medien?
Ruff Nein. Auch die Malerei wurde schon totgesagt, sie lebt immer noch – vergnügt.
Sie vergrößern Zeitungsfotos, bearbeiten in der Serie jpgs das kollektive Gedächtnis – mit welcher Intention?
Ruff Über zehn Jahre hatte ich Zeitungsausschnitte gesammelt. Dann musste ich feststellen: Ich hatte den Kontext verloren, das war ein irritierendes Phänomen. Ich fand die Fotos immer noch interessant, habe sie wie künstlerische Fotografie behandelt, ein Passepartout gemacht und sie ausgestellt.
Und Sie haben sie verdoppelt!
Ruff Das Original verblasste sehr schnell, deshalb habe ich ein Repro gemacht und hochgezogen, um den Raster offensichtlicher zu machen.
Wie kam es zu Ihren berühmtesten Arbeiten, den Porträts?
Ruff In der Akademie habe ich damit angefangen, 1980. Ich habe herumexperimentiert, zuerst schwarz-weiß, kleine Formate. Doch es passierte bei Ausstellungen, dass die Leute die Fotografie mit der Wirklichkeit verwechselten, sie sagten, "Heinz ist da". Dann habe ich Vergrößerungen gemacht, erst als ich finanziell die Möglichkeiten hatte, auf ein Format von 160 x 250 zu gehen, passierte etwas Verrücktes. Es gab ein komplett neues Bild, kein Blow-up, sondern ein neues physisches Gegenüber.
Wie waren die Reaktionen?
Ruff Plötzlich haben die Leute gesagt: "Boah, das ist aber ein großes Foto von Heinz." Da hat der Betrachter zum ersten Mal das Medium wahrgenommen und das Medium nicht mit der Wirklichkeit verwechselt. Das war sehr überraschend. Das mit der Plattenkamera aufgenommene Porträt hatte die Präzision eines Gemäldes.
Was bedeutete das für die Fotografie?
Ruff Die Leute waren geschockt. Fotografie war immer ein Nebenschauplatz gewesen. Wahrscheinlich landete sie im Bereich des Kupferstichkabinetts wegen der Größe der Abzüge. Damals kam das Bedürfnis auf, unsere Bilder größer zu bringen. Jeff Wall tat das auch, in der Mitte der 80er Jahre lag das Großformat vor – nur Katharina Sieverding hatte schon viel früher große Selbstporträts gemacht.
Was verbindet Ihre Werkzyklen?
Ruff Ich stelle mir jedes Mal die Frage: Was ist Fotografie? Welche Darstellungsmöglichkeiten gibt es? Wie stark darf man einer Fotografie vertrauen? Wie gehen wir mit Fotografie um? Als ich 1979 anfing, waren wir noch in einer analogen Welt, die Entwicklung zur digitalen Welt war ein Riesenschritt, und ich dachte, es wäre nur ein Werkzeug! In der Dunkelkammer konnte man nicht viel machen. Mit der Digitalfotografie hat man plötzlich den hellen Bildschirm, kann Pixel hin- und herschieben, Montagen machen, korrigieren. Der Computer ist die bessere Dunkelkammer.
Sie haben gesagt, die Fotografie sei die größte Bewusstseinsveränderungsmaschine. Stimmt das noch?
Ruff Ja natürlich.
Sind Bilder stärker als Worte?
Ruff Ja. Mit Bildern kann man einfacher manipulieren als mit Sprache.
Wollen Sie das Sehen verändern?
Ruff Nein. Ich will nur das Bewusstsein fürs Sehen verändern. Dass die Leute aufmerksamer schauen und sich nicht einfach verführen lassen.
Obwohl das auch schön sein kann! Ruff Stimmt.
Ist Ihr Vorgehen stets konzeptionell?
Ruff Kann man so sagen.
Sie sagen, ein Künstler soll nicht unterhalten ...
Ruff Er soll aufklären und kontextualisieren.
Überfordern Sie den Betrachter?
Ruff Nein.
Ihr Werk ist weder anekdotisch noch erzählerisch – wie viel Ästhetik kalkulieren Sie?
Ruff 100 Prozent.
Kunst soll zum Denken anregen, sagen Sie. Welches Denken meinen Sie?
Ruff Das selbstständige.