Kulturgut Computerspiele Spiel mit dem Hakenkreuz

Düsseldorf · Ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus kommt um dessen Symbolik nicht herum. Nur für Spiele gilt das nicht. Obwohl sie bereits seit zehn Jahren als Kulturgut anerkannt sind.

 Screenshot aus dem Browserspiel Bundesfighter II Turbo: Titelbildschirm

Screenshot aus dem Browserspiel Bundesfighter II Turbo: Titelbildschirm

Foto: Bohemian Browser Ballett / Facebook / Screenshot

Kunst darf es, Satire darf es, Geschichtsbücher, Fernsehdokumentationen und Theaterstücke sowieso – Hakenkreuze verwenden. Niemand würde Filme wie „Schindlers Liste“ oder „Operation Walküre“ in Deutschland verbieten, weil sie NS-Symbole einsetzen. Niemand würde einer der unzähligen Weltkriegsdokumentationen die Erlaubnis entziehen, weil in ihnen Originaldokumente gezeigt werden, auf denen das Hakenkreuz prangt. Wenn ein Computerspiel hingegen die gleichen Originaldokumente einsetzte und die gleiche Kritik am Nationalsozialismus übte, dürfte es in Deutschland dennoch nicht erscheinen.

Derselbe Paragraf, der Hakenkreuze verbietet, erlaubt sie auch. Paragraf 86 des Strafgesetzbuchs verbietet verfassungsfeindliche Kennzeichen und deren Verwendung und Verbreitung. Erlaubt ist es hingegen, wenn die Darstellung im Sinne der Aufklärung, Forschung, Kunst, Lehre oder Berichterstattung erfolgt. Ohne diese Ausnahmen dürften die Nachrichten keine Bilder einer Demonstration zeigen, bei der diese Symbole getragen werden. Der Gesetzgeber nennt dies Sozialadäquanz. In bestimmten Fällen ist es adäquat, also angemessen, etwas zu tun, was unter normalen Umständen verboten wäre.

Für Computerspiele gelten diese Ausnahmen jedoch nicht, obwohl sie bereits 2008 vom deutschen Kulturrat als Kulturgut anerkannt wurden. Angela Merkel persönlich hat den Status als Kulturgut bei der Eröffnung der Gamescom in Köln im vorigen Jahr in ihrer Rede erneut bekräftigt. 2008 basierte diese Anerkennung noch deutlich mehr auf dem Unterhaltungswert, den Spiele haben. Inzwischen jedoch gibt es zunehmend mehr Entwickler, die das Medium „Videospiel“ historisch, kritisch und aufklärend einsetzen. Sogenannte „serious games“, also ernsthafte Spiele, haben nicht länger Spaß und Unterhaltung des Spielers zum Ziel, oder zumindest nicht ausschließlich.

„This War of Mine“ von 2014 beispielsweise versetzt den Spieler in die Situation einiger weniger Zivilisten, die in einem Bürgerkriegsszenario um ihr Überleben kämpfen. Aber nicht als übermächtige Supersoldaten, sondern als Lagerarbeiter, Anwältin oder einfach nur Kind. Der Spieler muss moralische Entscheidungen treffen: Klaue ich dem älteren Ehepaar im Nachbarhaus die letzte Dose mit Pfirsichen oder bewahre ich mir meinen Anstand? Und verhungere deswegen vielleicht. Teile ich meine spärlichen Antibiotika mit anderen Überlebenden und habe dann vielleicht selbst nichts, wenn ich krank werde? Die Entwickler orientierten sich unter anderem am Bürgerkrieg im früheren Jugoslawien, befragten Veteranen und lasen Kriegstagebücher. Die Zeit betitelte es 2014 als „Das traurigste Spiel des Jahres“. Von Spaß kann folglich keine Rede sein. Und trotzdem war das Spiel ein internationaler Erfolg. Sowohl bei den Kritikern und Computerspiel-Preis-Verteilern als auch bei Spielern, also finanziell.

 Screenshot aus dem Spiel Attentat 1942: gezeichnete Zwischensequenz

Screenshot aus dem Spiel Attentat 1942: gezeichnete Zwischensequenz

Foto: Charles University Praque/Screenshot

Aktuelles Beispiel: „Attentat 1942“, benannt nach dem Attentat auf den stellvertretenden Reichsprotektor Böhmen/Mähren, Rheinhard Heydrich, im Jahr 1942. Inhalt des Spiels: Die anschließenden Vergeltungsmaßnahmen der Nazis in der damaligen Tschechoslowakei – aus Sicht der Opfer. Eingeflossen in das Spiel sind zahlreiche Interviews mit Zeitzeugen und natürlich Originaldokumente und Fotografien. Entwickelt wurde das Spiel unter den Dächern der Prager Karls-Universität und der tschechischen Akademie der Wissenschaften. Die Ernsthaftigkeit des Spiels steht außer Frage. Und wenn der Spieler unter Zeitdruck Gegenstände in einem Zimmer verschwinden lassen muss, weil die SS an die Tür klopft, stellt sich auch die Frage nach dem Spaß nicht mehr. Spiele sind inzwischen also deutlich mehr Kulturgut, als sie es waren, als ihnen dieser Status anerkannt wurde. Warum also wird diesem Medium weiterhin die Sozialadäquanz verwehrt?

Damit Computerspiele in Deutschland in den Handel kommen, müssen sie die Alterseinstufung der Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK) durchlaufen. Damit diese ein Spiel aber überhaupt zur Prüfung annimmt, muss der Einreichende schriftlich zusichern, dass sein Werk keine verfassungsfeindlichen Kennzeichen enthält. Tut er das nicht, wird sein Spiel gar nicht erst zur Prüfung zugelassen. Theoretisch könnte er es auch ohne Altereinstufung in den Handel bringen. Sollte das Spiel aber strafbare Inhalte enthalten, würde auch jeder Händler sich mit der Verbreitung strafbar machen. Verständlich, dass Händler Spiele ohne das Siegel der USK nicht vertreiben wollen.

Spieleentwickler, die den Unterhaltungswert ihres Produktes im Fokus haben, stören sich daran schon lange nicht mehr. In den letzten drei Umsetzungen des damals ausschlaggebenden „Wolfenstein“-Spiels schnitt Entwickler Bethesda einfach alle Hakenkreuze raus und ersetzte sie durch ein anderes Symbol. Wohlgemerkt nur in der deutschen Version, im Rest der Welt gibt es reichlich Hakenkreuze.

 Screenshot aus dem Browserspiel Bundesfighter II Turbo: Alexander Gauland in Hakenkreuz-Pose

Screenshot aus dem Browserspiel Bundesfighter II Turbo: Alexander Gauland in Hakenkreuz-Pose

Foto: funk/SWR/Screenshot

Die Frage, wie es dazu kam, führt zurück in das Jahr 1998, als ein Neonazi vom Oberlandesgericht Frankfurt verurteilt wurde, weil er verbotenes Propagandamaterial verbreitete. In seiner Wohnung wurde auch ein Computerspiel gefunden, nämlich Wolfenstein. Dieses enthält Hakenkreuze und wurde in einem Rutsch gleich mit verboten. Seit dem berufen sich die obersten Landesjugendbehörden auf dieses Gerichtsurteil. Seit dem gibt es keine Einzelbetrachtung für Computerspiele, sondern ein pauschales Verbot. Damals wurde die soziale Adäquanz nicht in Erwägung gezogen und deshalb wird das Urteil von damals aus heutiger Sicht als überholt betrachtet. Doch dadurch verliert es nicht seine Gültigkeit.

Aufgrund der beschriebenen Problematik darf „Attentat 1942“ von der USK also nicht geprüft werden. Und lief infolge dessen auf der Kunstausstellung A.Maze im April dieses Jahres in Berlin nur als Trailer. Wolfgang Walk, langjähriger Spieldesigner und Dozent im Bereich Gamedesign, fasst in seiner monatlichen Kolumne im „Games-podcast“ zusammen: „Ein Spiel, das sich mit dem Faschismus aus Sicht der Opfer beschäftigt, darf in Deutschland, dem Land der Täter, auf einer Kunstausstellung nicht spielbar gezeigt werden.“ Dass das Spiel von der USK nicht angenommen werden darf, sei eine blanke Verhöhnung der Opfer deutscher Gewaltherrschaft.

Die USK verteidigt ihr Vorgehen damit, dass sie Teil der öffentlichen Verwaltung ist und Gerichte unabhängig von dieser entscheiden. Also selbst wenn die USK eine Alterskennzeichnung vergebe, könne ein Gericht immer noch anders urteilen. Das Risiko für Entwickler und Händler bliebe bestehen. „Klarheit und Lösung des Problems könnte ein rechtlich gleichwertiges Urteil herbeiführen, welches ein Verwenden verfassungswidriger Kennzeichen in Computerspielen in engen Grenzen zulassen würde“, heißt es von der USK.

 Screenshot aus dem Spiel Attentat 1942: nachgestellte Interviews mit Zeitzeugen

Screenshot aus dem Spiel Attentat 1942: nachgestellte Interviews mit Zeitzeugen

Foto: Charles University Praque/Screenshot

Doch für eine solche, höchstrichterliche Klarstellung müsste es laut Walk mindestens bis zum Bundesgerichtshof gehen, besser noch zum Bundesverfassungsgericht. „Und für die [Klarstellung] müssten dann Entwickler nicht nur einen wirtschaftlichen Schaden riskieren, sondern eventuell sogar eine strafrechtliche Verurteilung“, sagt Walk.

Denn wie schon erklärt, würde es nicht reichen, das Spiel mitsamt verbotener Symbolik der USK vorzulegen, die Ablehnung zu kassieren und dagegen dann eine Verwaltungsklage anzustrengen. Der Entwickler müsste schon ein Spiel veröffentlichen, dass verbotene Kennzeichen wie Hakenkreuze enthält, in der Annahme, dass die obersten Landesjugendbehörden daraufhin Klage erheben. Nur, um im anschließenden Gerichtsverfahren durch alle Instanzen zu gehen. Welcher internationale Hersteller will das schon, stellvertretend für eine ganze Branche und nur, damit auf dem deutschen Markt Hakenkreuze verwendet werden dürfen?

Felix Falk, Geschäftsführer des game, dem Verband der deutschen Games-Branche, ist sich der Problematik bewusst. „In einem Anne-Frank-Spiel sollte der Kontext originalgetreu wiedergegeben werden können“, sagt Falk. Dafür brauche es eine Einzelabwägung von Spiel zu Spiel. Die Unterstützung eines Gerichtsverfahrens könne er sich vorstellen, doch leider sei so etwas lang und teuer. Besser sei es, wenn sich die Rechtsauffassung der Behörden ändere, also der obersten Landesjugendbehörden, federführend das Ministerium für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration in NRW. Der game sei daher schon längere Zeit im Austausch mit dem Ministerium. Die faire Anerkennung des Mediums sei aber gerade bei diesem Aspekt ein sensibles Thema. „Das gehört nicht auf die große öffentliche Bühne“, sagt Falk.

Im Fall von Attentat 1942 aber hätte sich der game klar und öffentlich positionieren müssen, findet Walk. „Schon allein wegen der verheerenden Außenwirkung der Entscheidung, ganz unabhängig von der Notwendigkeit, das Spiel anderen Kunstformen rechtlich gleichzustellen.“

Frisches Öl ins Feuer goss erst Anfang Mai eine Entscheidung der Generalstaatsanwaltschaft Stuttgart, keine Ermittlungen gegen das Computerspiel „Bundesfighter II Turbo“ aufzunehmen. Das Spiel erschien bereits zur letzten Bundestagswahl und zeigt eine Spielfigur, die Alexander Gauland ähnelt und die für einen Spezialangriff Arme und Beine zum Hakenkreuz anwinkelt. Dadurch, dass das Spiel kostenlos und nur im Internet verfügbar ist, brauchte es keine Alterseinstufung der USK. Dieser müssen nämlich nur Trägermedien vorgelegt werden. Klage eingereicht hatte der Verband für Deutschlands Video- und Computerspieler (VDVC) – nicht, um das Spiel zu verbieten, sondern um genau jene höchstrichterliche Entscheidung herauszufordern. Doch die Staatsanwaltschaft und, nach Beschwerde, später auch die Generalstaatsanwaltschaft lehnten ab. Die gültige Rechtsprechung von 1998 sei überholt. „Die Veröffentlichung diene nach Auffassung der Staatsanwaltschaft eindeutig ,sowohl der Kunst als auch der staatsbürgerlichen Aufklärung’“, beschreibt der VDVC das Ergebnis auf seiner Internetseite. Die Entscheidung wertet der VDVC als wichtiges Signal, dass Bewegung in die Debatte um die verwehrte Sozialadäquanz kommt.

Die obersten Landesjugendbehörden in NRW beharren aber weiterhin auf ihrem Standpunkt: „Die Generalstaatsanwaltschaft Stuttgart hat ihre Entscheidung in einem Einzelfall getroffen“, heißt es vom Ministerium. Diese ändere nichts an der grundsätzlichen Strafbarkeit der Verwendung oder Verbreitung von Kennzeichen verfassungsfeindlicher Organisationen. „Eine Unterscheidung nach so genannten „serious games“ und Spielen, die ausschließlich der Unterhaltung dienen sollen, wird nicht vorgenommen“, heißt es weiter. „Die Entscheidung der Generalstaatsanwaltschaft Stuttgart zum Browserspiel ,Bundesfighter II Turbo’, die kein Gerichtsurteil darstellt, werde aber fachlich und rechtlich ausgewertet.“

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