Kulturtipps fürs Wochenende Sommerliche Herbstmusik von Helado Negro

An diesem Herbst-Wochenende gibt es traumhafte Sommer-Musik von Helado Negro. Außerdem den Sound der essayistischen Schriften Christa Wolfs. Und einen alten Roman, den man nach der Lockdown-Erfahrung ganz neu begreift.

 Der amerikanische Musiker Helado Negro.

Der amerikanische Musiker Helado Negro.

Foto: label

Pop Musik für den Sonntagmorgen ist das, ein bisschen verblasen und verwaschen, aber durchaus froh  gestimmt. In Watte gepackter Funk, abgefederter Bass, verspulte Electronica, augenzwinkernder Folk. Man hört das und schweift ab, Tagtraum-Soundtrack, gut zum Ausatmen.

Roberto Carlos Lange nennt sich beim Musizieren Helado Negro, und sein neues Album „Far In“ hat er nach einem Ausdruck seines Hausheiligen, des New-Age-Musikers Laraaji, betitelt: weit vordringen in den Innenraum des Bewusstseins, darum geht es. Tatsächlich muten diese 15 Songs wie Gedankensprünge an, wie Stationen auf einem Wanderweg durch die Verfasstheit ihres Schöpfers. Helado Negro kommt vom Hundertsten ins Tausendste. Er mischt Stile und Themen, und zusammengehalten wird alles durch diese wunderbare Stimme, die bisweilen ein bisschen an Erlend Oye von den Kings Of Convenience erinnert.

Seit 2009 veröffentlichte Helado Negro sechs Alben und fünf EPs, und das bei dem auf traumhafte Klanglandschaften spezialisierten Label 4AD erscheinende „Far In“ ist seine beste Veröffentlichung. Der Sohn zweier Einwanderer aus Ecuador komponiert „himmlische Schlaflieder über irdische Themen“, wie es in einer US-Rezension heißt. Über sanft experimentelle Instrumentals singt Helado Negro seine Gedanken über die bedrohte Natur und die Pandemie. Er spricht Briefe an geliebte Menschen in den Wind, einmal sogar ein weltliches Gebet. Und manchmal – wie in „Outside The Outside“ – reicht er dem Publikum eine Hand und bittet in den Club: bisschen rumgrooven.

Das Bemerkenswerteste an diesem Album ist seine Atmosphäre. Aus akustischer und elektronischer Instrumentation, Spanisch und Englisch, Bass und Vibraphon schafft Helado Negro ein spirituelles Erlebnis. Das durchgängige Thema dieses Werks ist die Schönheit der Welt. Und das ist ja ohnehin das beste Thema überhaupt.

Roman Wer Marlen Haushofers Roman „Die Wand“ mag, sollte sich auch dieses Buch ansehen: „Dissipatio humani generis oder Die Einsamkeit“ veröffentlichte der italienische Schriftsteller Guido Morselli 1977. Nun ist eine Neuausgabe erschienen, und man liest sie nach der Erfahrung der Lockdowns mit noch stärkeren Gefühlen. Der Ich-Erzähler findet sich in einer Welt wieder, aus der die Menschheit verschwunden ist. Jetzt ist ausgerechnet er, der offenbar nur deshalb verschont wurde, weil er sich in der entscheidenden Nacht in einer abgelegenen Höhle das Leben nehmen wollte und doch keinen Mit dazu fand, der letzte Repräsentant. Es geht in diesen schmalen Band nicht immer so pessimistisch zu, wie man meinen mag. Der Erzähler beobachtet die Rückkehr der Natur, die Arglosigkeit der Tiere, und er macht sich seine Gedanken über all das. Dystopie oder Utopie? Die Grenzen verschwimmen.

(Guido Morselli: „Dissipatio humani generis“, Suhrkamp, 190 S., 20 Euro)

Essays Ich habe die Texte von Christa Wolf erst spät schätzen gelernt. In der Schule mussten wir „Nachdenken über Christa T.“ lesen, damit konnte ich damals nichts anfangen, das kam zu früh. Irgendwann habe ich dann aber die Novelle „Sommerstück“ entdeckt. Und das tolle Tagebuch-Projekt „Ein Tag im Jahr“. Seitdem mag ich diesen Sound, die Art der Selbstbefragung und Neuverortung vor allem in den theoretischen und autobiographisch gefärbten Texten Christa Wolfs. Die Erzählung „Im Stein“ etwa ist großartig, der Briefwechsel mit Sarah Kirsch ist lesenswert. Nun liegen auch die Reden und Essays von Christa Wolf in einer dreibändigen Taschenbuchausgabe vor; auf 1800 Seiten findet man alle Texte, die zwischen 1961 und 2010 erschienen sind. Zu erleben ist darin die engagierte Zeitgenossin, die politische und gesellschaftliche Entwicklungen und vor allem die deutsche Teilung reflektierte. Es gibt einen Brief an Jürgen Habermas, Verbeugungen vor der verehrten Kollegin Anna Seghers, Kritiken zur neuesten Literatur und Auseinandersetzungen mit der Bildenden Kunst, etwa mit dem Werk Günther Ueckers. Man bekommt aber auch Einblick in die Schreibwerkstatt Christa Wolfs. Während sie an ihrem Prosastück „Kein Ort. Nirgends“ arbeitete, schrieb sie Essays über Kleist und Bettine von Arnim. Alle Texte werden getragen von diesem besonderen Wolf-Sound.

(Christa Wolf: „Sämtliche Reden und Essays“, Suhrkamp, 1800 S., 36 Euro)

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