Ludwigsburg Besser studieren trotz Handicaps

Ludwigsburg · Simone Danz engagiert sich als Professorin mit Handicap für Studierende.

Sie plädiert dafür, den Blick einfach mal komplett umzudrehen: „Nicht Menschen mit Behinderungen sollten sich anpassen müssen, sondern das System sich an sie“, sagt Simone Danz. Die Professorin für Inklusive Pädagogik und Heilpädagogik wirkt jetzt ungewohnt ernst. Das Thema ist ihr wichtig. Die UN-Behindertenrechtskonvention von 2008 wende sich an die Nicht-Betroffenen, sagt sie: „Sie sind aufgefordert, Exklusionsrisiken zu erkennen und abzubauen.“

Seit drei Jahren hat Danz ihre Professur an der Evangelischen Hochschule Ludwigsburg inne. Im Oktober 2018 wurde die Contergan-geschädigte Wissenschaftlerin zusätzlich zu deren „Enthinderungsbeauftragten“ ernannt – auch diese Bezeichnung zeigt den Perspektivwechsel: Es geht darum, Hindernisse für gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu erkennen und abzubauen.

„Die Hochschule hat den Begriff des Behindertenbeauftragten sogar im Verordnungsblatt geändert“, erklärt Danz. Immerhin sei das ja die Aufgabe: Keine Sonderrechte gewähren, sondern Nachteilsausgleich schaffen für Studentinnen und Studenten mit Behinderungen und chronischen Krankheiten.

Elf Prozent der Studentinnen und Studenten in Deutschland haben eine Beeinträchtigung, ergab eine umfangreiche Untersuchung im Auftrag des Deutschen Studentenwerks (2016/17). Danz will Solidarität und Einfühlungsvermögen verstärken und an die Stelle von falscher Scham und unerwünschtem Mitleid stellen. Nicht zuletzt wegen ihrer eigenen Erfahrungen.

Die kurzen Arme und vierfingrigen Hände verraten bei der 57-Jährigen die embryonale Schädigung durch das Schlaf- und Beruhigungsmittel Contergan. Von den Eltern wurde sie in einen gewöhnlichen Kindergarten und auf eine Regelschule geschickt. Dort habe sie einerseits gelernt, sich im Alltag zu behaupten. Andererseits, sagt sie, „durfte ich als Kind immer nur das Plastikgeschirr abtrocknen“.

Der übertriebenen Fürsorge entzieht sich die sportliche junge Frau nach dem Abitur, indem sie für fast drei Jahre nach Indien geht. Dort lernt sie die direkte Art der Leute schätzen – und „dass es nicht selbstverständlich ist, dass an allen alles dran ist“. Zurück in Deutschland macht Danz Mitte der 80er Jahre in Hannover eine Ausbildung zur Gärtnerin. Es folgen einige Jahre in Heidelberg als Arbeitstherapeutin für „milieugeschädigte Jugendliche“, bis sie sich mit 35 Jahren entscheidet, berufsbegleitend zu studieren. Erst Erziehungswissenschaften in Frankfurt am Main, danach Hochschul- und Wissenschaftsmanagement in Bremen, 2015 wird sie in Berlin promoviert.

Dass Menschen „irritationsfähiger“ werden müssen und sich nicht nur von Normen leiten lassen dürfen, das vermittelt Danz nicht nur in ihren Seminaren. Eine von ihr mitinitiierte Vorlesungskooperation zwischen Evangelischer Hochschule und der Pädagogischen Hochschule in Ludwigsburg behandelt die Pflicht zur Thematisierung der Menschenrechte für pädagogische Berufe. Darüber hinaus plant eine Gruppe um Danz den Aufbau eines „Büros für Vielfalt“.

Was ihr klargeworden ist: Selbstständigkeit ist eine Illusion. „Wir sind alle abhängig, ob wir wollen oder nicht.“ Und weil Diskriminierung und Barrieren weiterhin existierten, sei es in der Gesellschaft wie in ihrem Garten zu Hause, sagt Danz: „Es gibt immer was zu tun.“

(epd)
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