Gastbeitrag Raimund Stecker Siegfried Gohr - der Kunst hilflos verfallen

Köln/Düsseldorf Wer auf der Flucht zurückschaut, wird zur Salzsäule erstarren. So lehren es Bibel und Koran. Siegfried Gohr ist nach seinem von Stadt, Presse und dortigen "Eminenzen" 1991 fies inszenierten Abgang in Köln geblieben. Er darf mithin zurückschauen. Und das mit Rückgrat. Denn was er tat, hat Bestand. Schauen auch wir zurück. Köln in den 1980er Jahren: Man fühlte sich als Weltkunststadt. Man unterstrich diese Selbsteinschätzung lautstark mit "Westkunst". Der Düsseldorfer Ausstellungs-Konter "Von hier aus" wurde mild belächelt. Köln hatte auch die lauteren Galeristen. Vor allem aber hatte Köln in Peter und Irene Ludwig kosmopolitische Sammler als machtbewusste Kulturbürger.

Köln/Düsseldorf Wer auf der Flucht zurückschaut, wird zur Salzsäule erstarren. So lehren es Bibel und Koran. Siegfried Gohr ist nach seinem von Stadt, Presse und dortigen "Eminenzen" 1991 fies inszenierten Abgang in Köln geblieben. Er darf mithin zurückschauen. Und das mit Rückgrat. Denn was er tat, hat Bestand. Schauen auch wir zurück. Köln in den 1980er Jahren: Man fühlte sich als Weltkunststadt. Man unterstrich diese Selbsteinschätzung lautstark mit "Westkunst". Der Düsseldorfer Ausstellungs-Konter "Von hier aus" wurde mild belächelt. Köln hatte auch die lauteren Galeristen. Vor allem aber hatte Köln in Peter und Irene Ludwig kosmopolitische Sammler als machtbewusste Kulturbürger.

Mit "Tutanchamun" und "Die Parler" hatte man schon vor der "Westkunst" das Ausstellungsformat der Blockbuster nach "Kölle" geholt. Der Ausstellungsbetrieb sollte ans Volk herangeführt werden - wurde popularisiert, banalisiert. Dennoch gab es Kenner in der Domstadt, die das Wesen von Kunst und ihre Geschichte im Auge hatten, die die damalige Hegemonie der US-Kunst durch Vergleiche mit europäischer in Frage stellten. Ausgestellt wurde diese Denkungsart mit "Europa/Amerika", für die der Direktor des neuen Ludwig-Museums, Siegfried Gohr, verantwortlich war. Er war und ist ein im positivsten Sinne "hilflos" der Kunst Verfallener. Er kann nicht anders, als über Kunst zu sinnieren, zu schreiben oder für sie Ausstellungen zu kuratieren. Die Komplexität der administrativen Fallstrickknoten im Kölner Gehbereich hat er so übersehen. Stets war ihm die Kunst im hohen Licht wichtiger denn der Betrieb am Boden. Schon zu Gymnasialzeiten stand für den 1949 in Aachen Geborenen Kunst im Fokus. Dem Studium der Kunstgeschichte folgte ein Volontariat in Köln. Dürer, Beckmann und Beuys wurden seine Fixsterne. Baselitz, Lüpertz, Penck und Kirkeby ordnete er ihnen bei und integrierte deren Werke in die Sammlung. Der Kölner Kunsthalle schrieb er zuvor seine Sicht auf Kunst ein. Lovis Corinth wurde geehrt. Nay widmete er die Wiedererweckung aus dem Loch des Wirtschaftswunderkünstlers.

Als Direktor kaufte er nachhaltig: Hermann Scherers "Liebespaar" aus der sensationellen Ausstellung "Skulptur des Expressionismus", Picassos "Frauenkopf (Dora Maar)", Rodtschenkos "Schwarz auf Schwarz", Werke von Jasper Johns, Hans Arp, Polke und Kurt Schwitters, "Der Narr" von Picabia und ein "Totem" von Gaston Chaissac. Und Gohr schrieb über seine Liebe zur französischen Kunst - über Jean Fautrier vor allem, einen Star der Müller-Sammlung auf der Insel Hombroich, dessen Werken der Einzug in die Düsseldorfer Landessammlung stets verwehrt blieb.

Doch der irre Selbstbehauptungswille Kölns ging weiter. Kaum war das neue "Ludwig" eröffnet, musste wieder ein Blockbuster her. "Bilderstreit", ein "visuelles Essay", so Gohr, wurde konzipiert - eine bis heute dem Kölner Intrigenstadl geopferte Ausstellung im Jahre 1989. Sie ließ subjektiv erdacht und intellektuell gefiltert in neuem Licht erscheinen, was "New Spirit in Painting" (1981), "Zeitgeist" (1982), "documenta 7" (1982) und andere "Regieausstellungen" der Zeit auch schon gesucht hatten.

"Bilderstreit" zeigte, dass es eine Einbahnstraße ist, in Harry Szeemans "When Attitudes Become Form" die alleinige Wiedergeburt von Kunst zu sehen. Denn in der Kunst wie im Universum gibt es eben nicht ein Sonnensystem, sondern deren viele. Die Kunst mit ihren individuell verantworteten Phänomenen darf hinter ihnen nie verblassen. Dem hoch gebildeten, sensibel dünnhäutigen, stets mehr um Kunst denn um Gesellschaftspräsenz bemühten und Köln gegenüber stets loyalen Siegfried Gohr wurde diese Ausstellung zum Verhängnis. Seine Sicht auf Kunst wurde denunziert. Dass es nicht korrupte Einigkeiten zwischen Galeristen und Kuratoren geben kann, zog man nicht in Betracht. So wurde nicht die intendiert inhaltliche Diskussion geführt, sondern eine Kampagne gefahren. Die Konspiration nahm schon während der Eröffnung ihren Lauf. Galeristen, "Eminenzen" und die Kölner Presse intrigierten. Aber, so Gohr, "den Galeristen war in ihrer blindwütigen Aktion eines entgangen, nämlich, dass sie sich selbst paralysiert" haben. Am Ende hatten sie nicht nur ihn aus dem Museum getrieben, sondern bewirkt, dass die Weltkunststadt wie Sodom fiel.

Köln spielt heute international für die Kunst nur noch eine Nebenrolle. Die Stadtkasse ist leer. Künstler bleiben in Düsseldorf oder gehen nach Berlin. Die Art Cologne ist zwar fraglos top. Ausstellungen wie der "Bilderstreit" allerdings sind nicht in Sicht. Und Kunsthistoriker wie Siegfried Gohr als Museumsdirektor, dem die Sammlung bedeutender war als ein Eventprogramm, der sich aus der Geschichte der Kunst Orientierung für Gegenwart und Zukunft holte und nicht aus den Trendmeldungen der Szene, werden immer rarer. So gesehen können Gohrs "Erinnerungen" auch realutopisch hoffend gelesen werden: als ein Rückblick mit Weitblick.

UNSER AUTOR WAR LEITER DES LEHMBRUCK-MUSEUMS DUISBURG.

(RP)
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