Sieger der Berlinale 2012: "Julius Cäsar" hinter Gittern

Häftlinge studieren William Shakespeares "Julius Cäsar" ein und lassen sich dabei mit der Kamera beobachten. Nur darum geht es in "Cäsar muss sterben", dem Gewinner des Goldenen Bären auf der Berlinale 2012, und man fragt sich, wie ein so einfaches Konzept einen so aufregenden, vielschichtigen Film ergeben konnte.

Nach einer großen Kunstanstrengung sieht er nicht aus. Er ist 76 Minuten kurz, offenbar war nicht viel Interessantes festzuhalten. Und die Regisseure Paolo und Vittorio Taviani haben während der Fertigstellung ihren 80. Geburtstag gefeiert, denen war bestimmt nicht mehr nach einem Kraftakt zumute. Es kann sein, dass "Cäsar muss sterben" nur unfreiwillig Stoff für Diskussionen liefert. Dass er sie liefert, steht außer Frage.

Da ist als erstes die Frage nach der Kategorisierung. Vordergründig handelt es sich um einen Dokumentarfilm über eine Haftanstalt. Die Haftanstalt ist ebenso echt wie die Häftlinge es sind. Aber da es um die Proben zu "Julius Cäsar" geht, ist "Cäsar muss sterben" über weite Strecken die Aufzeichnung eines Theaterstückes. Und ein professioneller Bühnenregisseur, Fabio Cavalli, arbeitet so intensiv mit den Laien, dass sie am Ende keine Laien mehr sind. Schließlich ist der Darsteller des Brutus, Salvatore Striano, auch gar kein Häftling. Er hat viele Jahre hinter Gittern verbracht, doch seit 2006 ist er ein freier Mann – und tritt an renommierten Bühnen auf.

All das ändert nichts an der Wahrhaftigkeit des Films, der veranschaulicht, was für eine therapeutische Wirkung dieses brutale Drama haben kann.

Der Film verrät an keiner Stelle, was genau die Häftlinge getan haben. Angeblich hat nur einer der schweren Jungs einen Mord begangen, die anderen bekamen wegen "Bandenkriminalität" lebenslänglich. Vielleicht wären sie einem weniger sympathisch, wenn man mehr über ihre Taten wüsste. So aber empfindet man uneingeschränkte Bewunderung für ihre kraftvolle Ausstrahlung. lll

(RP)
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