Berlin Shirley Temple – für immer Kind

Berlin · Sie war erst sechs Jahre alt, als sie 1935 den Oscar bekam. Nun ist Hollywoods berühmtester Kinderstar gestorben.

Shirley Temple - ein Blick auf ihr Leben
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Shirley Temple - ein Blick auf ihr Leben

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Eine 85 Jahre alte Frau ist gestorben, aber die meisten, die ihren Namen hören, denken sogleich an ein kleines Kind. Shirley Temple wurde mit vier Jahren zum Weltstar, sie war sechs, als sie den Oscar bekam und sogar Clark Gable und Greta Garbo an Popularität übertraf. Zwei Jahre später hörten die Menschen indes auf, ihretwegen ins Kino zu gehen — sie war einfach nicht mehr süß genug. Man könnte nun meinen, das sei ja eine tragische Biografie, denn dieser Mensch muss doch wohl ein Leben lang von der Nostalgie gezehrt haben, vom Ruhm der frühen Jahre. Aber damit liegt man völlig daneben.

Shirley Temple wurde 1928 in Santa Monica geboren, und ihre Mutter entdeckte früh das Talent der Tochter: Die konnte sich auffallend gut bewegen, Putzigkeit in Perfektion, und sie konnte auch noch dazu singen. Also gab die Mutter sie in eine Tanzschule in Los Angeles, wo der Agent eines Filmstudios rasch auf das Mädchen aufmerksam wurde. 1934 drehte Temple sieben Kinofilme, und wer begreifen möchte, wie dieses propere Mädchen mit den großen Augen so beliebt sein konnte, sollte sich zunächst in Erinnerung rufen, dass das die Zeit der Depression war. Dann möge er bei Youtube den Ausschnitt aus dem Film "Bright Eyes" suchen, in dem Temple einen ihrer bekanntesten Titel singt: "On The Good Ship Lollipop". Das Lied handelt vom kindlichen Traum des idealen Süßwaren-Ladens, und es wird so professionell dargereicht, dass man baff ist — und sich auch ein wenig gruselt. Temple bewegt sich wie eine Erwachsene, das war der Clou. Ihr Augenaufschlag ist der einer reifen Frau, der gehobene Zeigefinger gehört eigentlich ins Repertoire erboster Eltern, und wie sie die Hände in die Hüften legt, den Kopf in den Nacken wirft und dazu mit technicolor-roten Bäckchen und hohem Stimmchen altkluge Verse singt, ist geradezu kokett.

Der Schriftsteller Graham Greene, der damals als Filmkritiker in den USA arbeitete, beschrieb in einer Besprechung mit allerdings übermäßig drastischen Formulierungen, wie sehr ihn dieses Auftreten anwidere, wie wenig angemessen es für ein Kind sei. Er wurde nicht verstanden, im Gegenteil: Er musste vor den Anfeindungen der Temple-Verehrer nach Mexiko fliehen. Präsident Roosevelt meldete sich zu Wort. "Der Blick in das lächelnde Gesicht dieses Kindes lässt uns all unsere Sorgen vergessen", sagte er, und die Academy in Hollywood erfand eigens eine Kategorie für Shirley Temple: So bekam sie den Oscar 1935 im Grunde für ihre besonderen Verdienste um den Optimismus in düsteren Zeiten.

Es gab Puppen mit ihrem Konterfei, die in jedem Haushalt zu finden waren, und in den Frisiersalons wurde die Frisur mit den 56 Löckchen zum Renner. Bis heute gibt es einen alkoholfreien Cocktail, der Temples Namen trägt. "Mit sechs hörte ich auf, an den Weihnachtsmann zu glauben", schrieb Temple in ihrer lesenswerten Autobiografie "Child Star". Sie sei Santa Claus damals in einem Kaufhaus begegnet: "Er bat mich um ein Autogramm." Bevor sie in die Pubertät kam, hatte sie drei Millionen Dollar verdient.

Vier Jahre lang tanzte sie auf dem Gipfel, dann verlor sie in den Augen der Kinobesucher an Reiz. "Sie ist auf dem Weg, ein wenig bemerkenswerter Teenager zu werden", schrieb jemand, und man hofft, dass die Eltern ihr diesen Satz nie vorgelesen haben. "Der Zauberer von Oz" sollte den Ruhm aufpolieren, das sollte ihre größte Rolle werden, das darin gesungene "Somewhere Over The Rainbow" ihr Gassenhauer. Doch sie stand bei Fox unter Vertrag, und das Studio wollte sie für die MGM-Produktion nicht freigeben. Statt Temple wird die sechs Jahre ältere Judy Garland verpflichtet. Die wurde die neue Shirley Temple.

Temples Eltern kauften die Tochter 1940 aus ihrem Vertrag heraus, um sie vor weiteren Verletzungen zu bewahren, und schickten sie auf eine Mädchenschule. "Ich wurde in Liebe gebadet", sagte Temple rückblickend, vor allem mit ihrer Mutter verstand sie sich blendend, versicherte sie, deshalb taugt sie auch nicht als Rollenvorbild für die von den Eltern getriezten Kinderstars. Sie hatte noch ein paar kleine Auftritte in Filmen, auch die blieben ohne größere Resonanz, und mit 21 zog sie sich aus Hollywood zurück.

Und zwar vollständig und ohne Wehmut. Temple heiratete einen vermögenden Geschäftsmann, der nie einen Film mit ihr gesehen haben will, und blieb mit ihm bis zu dessen Tod 2005 zusammen. Und sie ging in die Politik. Sie engagierte sich bei den Republikanern, hielt 1967 eine viel beachtete und heftig kritisierte Rede für den Vietnamkrieg und wurde von Richard Nixon zur Botschafterin in Ghana berufen. Unter Gerald Ford arbeitete sie als Protokollchefin im Weißen Haus, und bis 1992 war sie Botschafterin in der Tschechoslowakei. Nach allem, was man in den Würdigungen Temples in US-Medien lesen kann, muss sie ihre Arbeit hervorragend gemacht haben.

Noch mehr Respekt — und zwar in allen politischen Lagern — brachte ihr 1972 die Bekanntmachung ein, sie sei an Brustkrebs erkrankt. Sie rief Frauen dazu auf, sich für Vorsorgeuntersuchungen anzumelden: "Bleibt nicht zu Hause und fürchtet euch", lautete das Motto der Aufklärungskampagne.

Eine starke Persönlichkeit also. Ein politischer Kopf. Eine faszinierende Frau. In Erinnerung bleibt sie indes als Mädchen. Noch heute werden in den USA jedes Jahr eine Millionen DVD mit den frühen Filmen von Shirley Temple verkauft.

(RP)
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