Shintoismus – der Glaube Japans

Die Religion kam von China nach Japan und war von Anfang an bemüht, Symbiosen mit anderen Religionen – wie dem Buddhismus – zu schaffen. Mythologisch steht bis heute die Ahngottheit des Tenno, Amaterasu, die Sonnengöttin, an der Spitze der Götter. Nach wie vor hält der Shintoismus das Bewusstsein im Volk für überirdische Kräfte wach.

Der Shintoismus – die Basisreligion Japans – fällt in Entstehung und Erscheinungsform aus der Fülle der Religionen heraus. Betrachtet man das Inselreich von seinem ökonomischen und kulturellen Entwicklungsstand her, ist es höchstens mit Indien vergleichbar. Wie die Hindu-Religionen weder einen Stifter noch ein Gründungsdatum kennen, reicht auch die Entstehung der Urreligion Japans in vorgeschichtliche Zeiten zurück.

Der Name "Shinto" kam erst auf, nachdem Buddhismus und Konfuzianismus von China nach Japan Eingang fanden. Die Bezeichnung dürfte chinesischen Ursprungs sein und erscheint in Japan erstmals in der Reichschronik Nihonshoki. Shinto – japanisch gelesen "kami no michi" – bedeutet "Weg der Götter", ursprünglich der "Geistwesen". Von diesen gibt es Unzählige, männliche wie weibliche, die man in der Natur, in Bäumen, Bergen, Flüssen und Naturereignissen, in Familien, Sippen und Dorfgemeinschaften, schließlich in der Nation, repräsentiert durch den Kaiser, den Tenno, findet.

Die Verehrung der Götter verband sich früh mit der Verehrung der Ahnen. Die japanische Bevölkerung dürfte zunächst in Sippenverbänden (uji) zusammengefasst gewesen sein, die sich einem ujigami, einem Ahnherrn beziehungsweise einer Schutzgottheit, verpflichtet sahen. Dieser fand seinerseits seinen Repräsentanten im Oberhaupt der Sippe, der politische und religiöse Autorität in sich vereinte und auch den Kult des ujigami leitete. Die Ausübung der priesterlichen Funktionen weitete sich dabei zur Repräsentanz der göttlichen Wesen aus, so dass aus den Kultleitern "ikigami" lebendige "Kami" wurden.

Die Vernetzung der Clans untereinander führte im Laufe der Geschichte zur Reichseinheit, die im Kaiser, dem Tenno, ihre Verkörperung fand. Bis zum Ende des Pazifischen Krieges blieb er in allen Wechselfällen der Hohepriester des Volkes gegenüber den Ahnen, dem göttliche Verehrung gebührte.

Gerade weil Japan zahlreiche Kulturgüter wie die Schrift, aber auch andere gesellschaftsformende Prozesse dem Einfluss aus China kommender Religionen – dem Buddhismus, Konfuzianismus und Daoismus – verdankt, ist es verständlich, dass die politischen Führungskreise bemüht waren, den Ursprung des Volkes eigenständig zu sichern. Das geschah mit den Reichschroniken Kojiki (712) und Nihonshoki (720).

Mythologisch steht bis heute die Ahngottheit des Tenno, Amaterasu, die Sonnengöttin, an der Spitze der Götter. Japan selbst wurde auf das Urgötterpaar Izanagi und Izanami zurückgeführt, so dass der göttliche Ursprung des Landes und seines Herrschaftssystems gesichert erschien. Zentrale Verehrungsstätte der Amaterasu ist bis heute die große Schreinanlage in Ise, wo sich auch die drei wichtigsten Kultgegenstände befinden: ein Siegel, ein Schwert und ein Krummjuwel. Mit dem Ise Jingu konkurriert an der japanischen Westküste aus der Zeit vor der Reichseinigung der Izumo Taisha, der seine eigenen Ursprungsmythen besitzt.

Bislang war jeder Tenno bemüht, die Eigenrechte der beiden zentralen Heiligtümer zu respektieren. Zur Frühgeschichte des Shintoismus gehört, dass die aus China nach Japan transportierten Religionen von Anfang an bemüht waren, Symbiosen zwischen verschiedenen Religionen zu schaffen. So hat der Buddhismus ein System entwickelt, nach dem Buddha-Gestalten zu Entsprechungen shintoistischer Gottheiten wurden. Das kann bis heute in vielen Tempelanlagen beobachtet werden. Es kam folglich weniger zur Verdrängung der einheimischen Religionsformen, sondern mehr zu einer wechselseitigen inneren Durchdringung beider Gestalten.

Der Weltalmanach von 2010 gibt bei einer Bevölkerung Japans von rund 128 Millionen folgende Religionszugehörigkeiten an: 108 Millionen Shintoisten, 95 Millionen Buddhisten, 11,4 Millionen Angehörige von "Mischreligionen" beziehungsweise der neureligiösen Bewegungen, 1,8 Millionen Christen. Die Summe von 216,2 Millionen beweist, dass in Japan Doppelmitgliedschaften an der Tagesordnung sind und die Mehrzahl der Japaner sich dem Shinto und dem Buddhismus zugehörig fühlen.

Im heutigen Alltag Japans ist der Shintoismus zunächst ein Lebensgefühl, das sich mit freudigen Ereignissen verbindet, aber angesichts der Vergänglichkeit aller Dinge zugleich von Melancholie durchzogen ist. Jedes neue Jahr beginnt mit dem Gang zum Schrein, nicht zum (buddhistischen) Tempel. Kinder feiern ihre Geburtstage am Schrein. Die frühen Pflaumen- und Kirschblüten laden die Frauen ein, sich feierlich zu kleiden und mit ihren Familien bekannte Plätze der Blüte aufzusuchen. Dabei muss man sich beeilen; denn oft liegen die Blüten am nächsten Tag schon verstreut am Boden.

Bis heute wird die Großzahl der Ehen nach dem Shinto-Ritus geschlossen. Beerdigungen und Begleitung der Sterbenden sind dagegen Sache der Buddhisten. Wie bei uns noch immer Kirchtürme die Dörfer bestimmen, findet sich in den meisten japanischen Dörfern ein Schrein, in der Regel mit dem charakteristischen Torii, dem Schreintor, als Eingang. Unter den zahlreichen Torii ist das Tor im Meer vor der Insel Miyajima bei Hiroshima eines der markantesten. Das Innere des Schreins selbst ist weithin leer. Es erinnert an bestimmte Gottheiten oder auch an große Persönlichkeiten der Geschichte, Kaiser und Shogune.

Der Schrein wird von den Gläubigen nicht betreten. Bevor man sich nähert, reinigt man sich. Dann tritt man vor den Schrein, klatscht in die Hände oder schlägt mit dem starken Seil den Gong an, bevor man sein Gebet verrichtet und seine Anliegen vorträgt.

Die Geschichte des Shinto lässt sich nicht wie die anderer Religionen beschreiben. Zu stark sind die Brüche, die es im Laufe der Jahrhunderte gegeben hat. Entscheidend für die heutige Situation des Shintoismus ist der Aufstieg Tokyos. Er beginnt in der Feudalzeit unter der Herrschaft Tokugawa Ieyasus, der 1603 in Edo ein neues Shogunat gründete. Mit dem Beginn der Meiji-Restauration 1868 verlegte der Tenno seinen Sitz nach Edo. Die Feudalherrschaft wurde abgeschafft, und aus Edo wurde Tokyo, die östliche Hauptstadt.

Spätestens seit dieser Zeit kam es zu einer erneuten Stärkung des Shintoismus. Er wurde aus seinen Verflechtungen mit dem Buddhismus befreit und entwickelte sich zur Staatsreligion, in der das japanische Nationalgefühl seinen Ausdruck fand. Seither ist deutlich zu unterscheiden zwischen einem Kult, in dem der japanische Nationalismus von Ise her seinen Ausdruck findet, und dem in 13 offiziellen sogenannten "Shinto-Sekten" organisierten Shinto als Religion; auch diese wurden bis zum Jahre 1945 staatlich unterstützt.

Seither ist zwischen dem unter Führung des Ise-Schreins zusammengefassten Schrein-Shinto (dem früheren Staats-Shinto) und den Heiligtümern, die sich dieser Führung nicht anschließen, zu unterscheiden. Ein Streitpunkt war lange der Yasukuni-Schrein in Tokyo, in dem seit seiner Gründung 1869 der Kriegstoten gedacht wird. Die Frage war: Handelt es sich bei den hier von Offiziellen des Staates vollzogenen Ritualen um religiöse Zeremonien im eigentlichen Sinn oder nicht?

Die katholische Kirche hat ihren Einspruch, den sie seit der Zeit des Ritenstreits erhoben hatte, zurückgezogen und betrachtet sie als bürgerliche Riten. Im Ergebnis begegnet man heute in Japan einem Shintoismus, der bemüht ist, sich in seiner Eigenständigkeit vom Buddhismus und anderen Religionen abzuheben, seine eigene Theologie entwickelt und so auch wissenschaftlich anschlussfähig ist. Er wirkt nach wie vor tief im Volk und hält das Bewusstsein für überirdische Kräfte und geistige Potenzen wach.

Reinheit, nicht nur des Körpers, sondern auch des Geistes und des Herzens, wird gefördert. Die Netzwerke der Schreine sind Symbole für die Präsenz des Göttlichen und Gottes in unserer Welt.

(RP)
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