Düsseldorf Shakespeares Botschaft vom Bösen

Düsseldorf · "Der Kaufmann von Venedig" erhält am Düsseldorfer Schauspielhaus unerhörte Aktualität. Eine Inszenierung, die dem Publikum gefällt.

Man muss nicht Jude sein in einer Gesellschaft, um wie ein Hund getreten oder wie ein Aussätziger angespuckt zu werden. Man könnte auch Afrikaner, Syrer oder Afghane sein, der nach der Flucht im Wohlstands-Deutschland vergeblich anzudocken versucht. Doch hier bei Shakespeare ist es Shylock, der Jude, dem "Der Kaufmann von Venedig" so verächtlich begegnet und den er normalerweise nicht mit der Kneifzange anpackt. Erst als der Kaufmann den Juden für ein Darlehen braucht, dient er sich ihm an. Bittet ihn sogar in sein Haus.

Shylock steht im Venedig des 16. Jahrhunderts als negative Randfigur da. Reich ist er, aber, sieht man die Reaktionen der anderen, unwert. Raffiniert ist er auch. Einen ähnlichen Deal wie den, den er mit Kaufmann Antonio einfädelt, hat es in der Literatur kein zweites Mal gegeben. Sollte Antonio die Dukaten nicht wie versprochen nach drei Monaten zurückzahlen, dürfe Shylock ihm ein Stück Fleisch bei lebendigem Leib herausschneiden.

Das ist nur ein Handlungsstrang aus Shakespeares düster-melancholischem wie auch launigem Stück, das die Moral des Individuums wie die Moral der ganzen Gesellschaft zum Thema hat. So schämt sich Shylocks Tochter Jessica ihrer Herkunft, sie lässt den Vater im Stich, um mit einem Christen durchzubrennen. Die reiche Portia, der vom Vater die Männerwahl mit Kästchen empfohlen wurde, hat die Lage voll im Griff. Als sie den Richtigen zu haben scheint, missbraucht der Auserwählte ihr Vertrauen. Eigentlich hat Bassiano nebenbei was mit dem Kaufmann laufen. Antonio und Bassanio (allzu zurückhaltend: Sebastian Tessenow) machen kein Hehl aus ihrer gleichgeschlechtlichen Liebe.

Regisseur Roger Vontobel hält sich aus dem besonders nach dem Völkermord durch die Nationalsozialisten vieldiskutierten Konflikt heraus, wie stark der "Kaufmann" ein antisemitisches Stück sei, indem er den Juden als Stellvertreter für alle Außenseiter der Gesellschaft markiert. In grauem Anzug mit Hut geht Shylock leise vor. Er ist kein Monster, sondern ein trauriger, einsam tanzender Mann auf leichten Füßen, bis er seine Rache-Rede hält. Burghart Klaußner verleiht Shylock wenig Rabiates, nur Konsequenz und Schärfe im Denken, um seine Rachsucht zu erklären. Am Ende steht er - anders als bei Shakespeare - noch am Bühnenrand mit dem Gesicht zur Wand, die Hände hält er hoch, so als wäre er vor einem Erschießungskommando ausgeliefert.

Dies allerdings irritiert. Und ist womöglich dem nach allen Seiten offenen Bühnenkonzept geschuldet, bei dem jede Person jederzeit präsent bleibt. Tiefschwarz und karg hat Bühnenbildnerin Muriel Gerstner den Rialto eingerichtet, auf dem sich eine unsolide Gesellschaft gebärdet, die gerne rumlümmelt. Die venezianischen Ragazzi (Besonders wendig: Florian Lange und Alexej Lochmann), mit nackten Füßen und Ringelhemden nach Art der Gondolieri, haben lieber Spaß, Spiel und Liebelei als Stress. Wenn aber Stress entsteht, wie mit dem unglaublichen Deal um das Fleisch-Pfand, rotten sie sich zusammen, um rabiat in Crescendo-Chören "Jude, Jude!" zu skandieren.

Die Inszenierung beleuchtet Charaktere stets nah an Shakespeares Worten. Dafür sorgt die zeitgemäße Übersetzung von Elisabeth Plessen. Von der Regie veranlasst, sind es beseelte Gestalten mit einer Dynamik, die um 1600 nicht viel anders Fahrt aufnahm, als es heute der Fall sein könnte. Der schwarzen venezianischen Tiefe einer auf Stelzen montierten unteren Ebene wird die goldene Glitzerwelt des utopischen Ortes Belmont zugesetzt. Hier kommt der Reichtum zum Zuge, die starke Portia mit ihrer Dienerin Nerissa, die kluge Frauen sein dürfen. Minna Wündrich und Tanja Schleiff führen glänzende Dialoge, geben sich herrlich albern in affigen Spielen und massiv als Personen des Rechts. Die Frauen sind überhaupt mit Stärken ausgestattet, auch Shylocks Tochter Jessica, die Lou Strenger als erlebnissüchtigen Teenager gibt. Fein temperiert sie ihr jiddisches Lied und ihre Tänze. Um das Publikum unterhaltend an die Hand zu nehmen, läuft ein Band über der Bühne mit Originalzitaten. Die Musik ist stimulierend-schön. Matthias Luckey als skurriler Diener Shylocks erweist sich als fantastischer Sänger mit der Höhe des Countertenors.

Wer der Kaufmann und wer der Jude sei, fragt das Gericht. Es ist längst nicht so eindeutig, wo das Böse sitzt, warum es zum Ausbruch kommt. Beide sind Außenseiter. Allzu harmlos spielt Andreas Grothgar den Kaufmann, der sich verrechnet und unglücklich in einen Mann verliebt ist. Das schwächt den Konflikt.

Viel Applaus gibt es für ein sehenswertes Stück über das Treten in der Gesellschaft, über Hass und perfide Formen im menschlichen Umgang.

(RP)
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