Bochum Sensationeller Shakespeare in Bochum

Bochum · Shakespeares Illyrien ist ein Ort des Liebeswahnsinns, der Identitätskrise und des Gendertrouble. Zumindest in Roger Vontobels Version des Stoffs am Schauspielhaus Bochum. Dort geht der Regisseur ein Wagnis ein: Die Zwillinge Viola und Sebastian sind bei ihm zwei Facetten einer Persönlichkeit, zwei Seelen, die in Violas Brust wohnen. Vontobels Mut wird belohnt. Die Konstruktion geht in einer bestechend klugen wie komischen Inszenierung voll auf.

Alle Register zieht der mehrfach ausgezeichnete Regisseur bereits in der Vorgeschichte, mit der er Viola in einen neuen Kontext setzt. Kongenial zitiert er Lars von Triers Film "Melancholia", lässt eine bürgerliche Hochzeit mit Viola als Braut ins (selbst gewählte) Unglück stürzen. "So voller Wahnsinn ist die Raserei, die Liebe heißt", brüllt und schluchzt sie Shakespeare wie ein Mantra, während sie die Tafel mit einem kräftigen Wasserstrahl hinwegspült. Dann liegt sie selbst am Boden, niedergestreckt vom Sturm der Gefühle. Szenenapplaus für die großartige Jana Schulz, die sich wie besessen in die Rolle stürzt.

Ihre Ankunft in Illyrien erscheint so selbst gemacht wie Alices Reise ins Wunderland. Das Land liegt erstarrt zwischen den Häusern der Gräfin Olivia, die ihre Trauer um den verstorbenen Vater und Bruder zelebriert, und des Herzogs Orsino, der der Gräfin verfallen ist und nichts tun kann außer Klage singen. Die Figuren bewegen sich auf Stegen über die Bühne (Claudia Rohner), die mit 17 000 Litern Wasser geflutet ist wie mit den Tränen von Olivia und Ordino. In den Bassins spielen die derben Figuren alle Gags durch, die die Assoziationen hergeben: Kammermädchen Maria (erotisch: Friederike Becht) gibt den weißen Hai, Sir Toby Rülp macht den Tisch zum Motorboot, Andrew von Bleichenwang tölpelt sich in Bauchplatschern durch den Pool und Malvolio ist der strenge Bademeister.

Explosionsartig der Applaus am Ende. Bochum hat seine erste Theater-Sensation unter Intendant Anselm Weber.

(RP)
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