Seltsame Strauss-Oper wiederbelebt

Richard Strauss bei den Salzburger Festspielen: Christian Thielemann dirigiert, Christof Loy inszeniert die Oper "Die Frau ohne Schatten" im Festspielhaus. Die Handlung spielt diesmal im Wien der 50er Jahre und stellt eine historische Schallplattenaufnahme nach.

Salzburg Einige Werke von Richard Strauss erfreuen sich bester Beliebtheit, andere fristen ein Dasein im Familienschlafsaal, darunter auch Opern von der "Ägyptischen Helena" bis zu "Intermezzo". Gelegentlich werden sie von Strauss-verzückten Dirigenten aufgeweckt und zur Inspektion freigegeben. Dieses Schicksal widerfuhr jetzt der "Frau ohne Schatten".

Regisseur Christof Loy hatte es übernommen, den verblasenen mythologischen Stoff um Kinder- und Schattenlosigkeit in die Gegenwart zu transferieren. Auf diesem Weg blieb er im Wien des Jahres 1955 hängen, wo der Dirigent Karl Böhm im Winter eine denkwürdige Besetzung für eine Aufnahme der "Frau ohne Schatten" zustande brachte. Tatsächlich fand sie zwar im Musikvereinssaal statt, doch war Loy vom morbid-schönen Ambiente der Sofiensäle animiert; die Historie Österreichs blättert dort von den Wänden, Solti hat hier seinen legendären "Ring" aufgenommen.

Irgendwann in diesem Faszinationsprozess kam Loy auf die wahnwitzige Idee, die Handlung des Werks der Situation einer Plattenaufnahme anzuschmiegen: Eine junge Sängerin (die Kaiserin) trifft auf illustre Vorbilder, die komplex miteinander verbandelt und sogar verwandt sind. Damit die Illusion einer Musikproduktion perfekt ist, hat Loy seinen Bühnenbildner Johannes Leiacker die Sofiensäle nicht nur nachbauen, sondern auch mit obligatorischem Equipment versehen lassen: Mikrofone, Studio, Aufnahmeleiter, Kabelträger, Serviermädchen, Hausmeister. Das sieht possierlich aus, doch bald fragt sich jeder, ob diese Verlagerung von Ort, Zeit und Sinn den Reiz der Kopie trägt.

Ein Witzbold könnte einwenden, dass sich dieses abstruse Werk ohne intellektuellen Verlust auch als die Hauptverhandlung einer wirren Familiensache vor dem Amtsgericht Meppen nachstellen ließe. Nein, es ließe sich nicht, weil kein Mensch glaubt, dass die Leute den Text aus den Noten nicht nur singen, weil er da gedruckt ist, sondern weil sie ihn tatsächlich fühlen. Dieser Spagat trägt auch in Salzburg nicht. Wir wähnen uns bei einer konzertanten Aufführung, bei der Sänger vor Notenpulten stehen und ausdrucksvoll gucken. Ihre emotionalen Verbindungen bleiben konstruiert.

Apropos Tonmeister, der würde sich bei einer realistischen Sitzung beizeiten melden: "Herr Thielemann, wäre es Ihnen möglich, den Sängern eine gewisse Verständlichkeit über die Rampe zu ermöglichen?" Die Wiener Philharmoniker sind prachtvoll, für Strauss ideal, und Thielemann findet Vergnügen daran, in diesem Luxus mit sich selbst berauschender Maßlosigkeit ein Vollbad zu nehmen. Das Orchester wühlt, attackiert – fabelhaft und immer zu laut. Ein Bayreuther Deckel über dem Salzburger Graben hülfe enorm.

Da Loy den historischen Vergleich anstiftet: Dirigent Böhm war damals diskreter, dadurch wirkten die Orchesterzwischenspiele umso intensiver. Bei Thielemann müssen die Sänger brüllen, um sich Gehör zu verschaffen. Manchem schlägt das auf die Stimme. Piano-Fertigkeiten versenden sich. So bewundern wir – in absteigender Durchschlagskraft – Evelyn Herlitzius (eine hysterisch-wilde Färberin), Wolfgang Koch (einen menschlichen Barak), Michaela Schuster (eine durchtriebene Amme), Stephen Gould (ein gutmütiger Kaiser) und Anne Schwanewilms (eine zartbesaitete Kaiserin) vor allem für ihre Hingabe. Man möchte aber Kunst erleben, nicht nur Kondition.

Loy und die Sänger werden am Ende freundlich durchgewinkt, Thielemann schlägt Beifall in Orkanstärke entgegen. Es ist sein erster Salzburger Opernabend, und er wird sich auch diese Festspiele nicht mehr aus der Hand nehmen lassen. Vor seiner Universalpräsenz in leitender Funktion (Dresden, Bayreuth, Salzburg) kann einem bange werden.

(RP)
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