Berlin Schwieriger Rechtsstreit um Welfenschatz

Berlin · Das von Jutta Limbach geleitete Gremium will erst in einigen Wochen entscheiden, ob der Schatz als NS-Raubkunst gilt.

Bedeutende Teile des Welfenschatzes zählen zu den Hauptattraktionen der Berliner Museumsinsel – im Bode-Museum. Offenbar weit unter Wert verkauften jüdische Kunsthändler 1935 die goldenen Reliquien an den Staat Preußen. Handelten sie dabei frei oder übten die Nationalsozialisten Druck aus? Darüber beriet gestern in Berlin ein hochrangiges Gremium, die sogenannte Limbach-Kommission. Erst in einigen Wochen will sie eine Empfehlung zum Umgang mit dem Schatz geben. Von der Entscheidung der Kommission hängt ab, wem die Werke gehören: der Stiftung Preußischer Kulturbesitz oder den Erben der drei Händler. Die jedenfalls erheben ebenso Anspruch darauf wie die Preußen-Stiftung.

Was umfasst der Welfenschatz? Der Welfenschatz ist im Kern der Reliquienschatz des Braunschweiger Doms. Er besteht zum größten Teil aus Goldschmiedearbeiten, gefertigt zwischen dem 11. und dem 15. Jahrhundert. Als "Welfenschatz" wird er allerdings erst seit 1867 bezeichnet. Seitdem befand er sich im Privatbesitz der exilierten Welfen, des ältesten Fürstenhauses in Europa. Deren Vorfahren hatten ihn dem Dom gestiftet.

Wie gelangte der Welfenschatz in die Hände der drei jüdischen Kunsthändler, deren Erben heute auf Herausgabe bestehen? Da die Welfen ihren Schatz veräußern wollten, um ihre Schlösser unterhalten und Pensionslasten tragen zu können, erwarb ein Konsortium aus drei namhaften jüdischen Kunsthändlern aus Frankfurt – Zacharias Max Hackenbroch sowie die Firmen J. Rosenbaum und I. & S. Goldschmidt – den aus 82 Einzelstücken bestehenden Reliquienschatz am 6. Oktober 1929 für 7,5 Millionen Reichsmark. Davon verkauften die Händler Werke für rund 1,5 Millionen Reichsmark in die USA. Die Kunsthändler, die ab 1933 der rassischen Verfolgung des Hitler-Regimes ausgesetzt waren, verhandelten ab 1934 mit verschiedenen preußischen Ministerien über einen Erwerb der Restsammlung. Deren Wert wurde auf sechs bis sieben Millionen Reichsmark beziffert. Der Staat Preußen erwarb die Stücke für angeblich 4,25 Millionen Reichsmark für die Staatlichen Museen Berlin. Daraus leitet sich ein Restitutionsanspruch der Erben von Max Hackenbroch her. 1957 ging der Schatz ins Eigentum der Stiftung Preußischer Kulturbesitz über.

Was versprachen sich die Nationalsozialisten von dem Kauf? Für Preußens Ministerpräsidenten Hermann Göring war die "Rückführung" des Rest-Welfenschatzes, der sich zum Zeitpunkt der Verhandlungen noch in Amsterdam befand, von hoher kulturpolitischer Bedeutung. Schließlich stand das Mittelalter während des "Dritten Reichs" offiziell in hohem Ansehen.

Worum dreht sich heute der Streit? Es geht um die Frage, ob 4,25 Millionen Reichsmark ein fairer Preis waren. Die Preußenstiftung sagt ja, die Händler hätten sich bereits vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten verspekuliert, der Preis sei marktgerecht gewesen. Die Erben der Kunsthändler dagegen vertreten die Meinung, dass ihre Vorfahren den Schatz wegen ihrer Verfolgung durch die Nazis verkauft und keineswegs den Marktpreis bekommen hätten.

Warum zieht sich der Streit zwischen beiden Parteien so lange hin, warum hat sich die Limbach-Kommission vertagt? Nach wie vor fehlt ein wichtiges Dokument: der sogenannte Konsortialvertrag. In Wiesbaden wurden Akten entdeckt, aus denen hervorgeht, dass weitere Anteilseigner das heikle Spekulationsgeschäft von 1929 mitfinanzierten. Und zwar in weitaus größerem Maße als die drei jüdischen Kunsthändler. Die dürften, wie die FAZ berichtet, kaum mehr als zehn Prozent der Kapitaleinlagen aufgebracht haben. Zum Beispiel war der Wiesbadener Juwelier Hermann Netter mit 25 Prozent am Geschäft mit dem Welfenhaus beteiligt. So fragt sich, worüber die Limbach-Kommission eigentlich entscheiden will. Denn es steht in Zweifel, ob die Vorfahren derer, die heute die vollständige Herausgabe des Welfenschatzes fordern, die alleinigen Verkäufer waren.

Was bedeutet eine Entscheidung der Limbach-Kommission? Die Kommission unter dem Vorsitz der einstigen Bundesverfassungsrichterin Jutta Limbach nimmt nur dann ihre Arbeit auf, wenn beide Parteien sie um Vermittlung gebeten haben. Die Empfehlung der Kommission ist nicht bindend; allerdings würde bei Nichtbeachtung eine der beiden Seiten in der Öffentlichkeit moralisch ihr Gesicht verlieren.

Würde sich eine Entscheidung im Falle des Welfenschatzes auf andere Restitutions-Auseinandersetzungen auswirken? Nein. Denn jeder Fall muss einzeln betrachtet werden. Für Düsseldorf wird die Kommission in diesem Jahr über die Bilder "Pariser Wochentag" von Adolph Menzel und "Fruchtkorb an einer Eiche" von Abraham Mignon beraten.

(RP)
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