Düsseldorf Schnell und grell: Valery Gergiev in der Tonhalle
Düsseldorf · Gelegentlich wird auch der hartgesottene Musikfreund tief im Herzen erwischt. Hat er nicht gelernt, dass die ersten drei Symphonien Peter Tschaikowskis nette Studienarbeiten sein, aparte Übungen – aber doch mit den effektvollen späteren drei Schwesterwerken nicht zu vergleichen? Es ist an der Zeit, diesen Lernschiefstand zu korrigieren. Die 1. Symphonie g-moll ist eine zarte Knospe im ersten, eine wilde Orchidee im zweiten Moment. Tschaikowski ist hier kein Lehrling, sondern bereits Könner.
Das frühe Meisterwerk bot nun das glänzende London Symphony Orchestra in der Tonhalle. Valery Gergiev am Pult zeigte, dass die Sogkräfte der Musik oft ins Lyrische führen. Hier ist sie dreister Reißer, dort raffinierte Etüde über Fugentechniken. Bisweilen hat sie sogar etwas Meditatives, von sich selbst Beruhigtes. Das Orchester und sein neuer Chefdirigent nahmen sich des Erstlings liebevoll an, allerdings geriet das Scherzo etwas zu fix.
Gergiev ist das Gegenteil eines Schutzpolisten, der besonnen den Verkehr regelt. Seine Hände – Taktstock lässt er weg – sind seismografische Instrumente, die in stetem Zittern die Bebungen der Musik einfangen. Mancher glaubt im Ergebnis die Magie der Unschärfe zu erkennen. Für Mussorgskis "Bilder einer Ausstellung" (Ravel-Fassung) bräuchte man indes mehr Präzision auf dem Punkt. Gewiss lag "Das alte Schloss" hübsch unter Spinnweben, und das "Ballett der Küken in den Eierschalen" zwinkerte köstlich. Aber schon in Promenade 1 standen die Bläsersäulen fast windschief im Raum, und die "Katakomben" hatten statische Probleme.
Schade, dass Gergiev, der Extremsportarten liebt, dem "Marktplatz von Limoges" ein Geknatter abverlangte, wie es eher in Le Mans oder Magny-Cours zu vermuten wäre. Ein Blick in die Noten zeigt: Es ist bloß ein Allegretto. Das "Große Tor von Kiew" klang dagegen, als habe es Le Corbusier gebaut. Interessanter Versuch. Der "Russische Tanz" aus Tschaikowskis "Nussknacker" als Zugabe war eine grelle, zu schnelle Parodie. Also: Ein famoses Orchester, zu dessen Rang der Dirigent noch aufschließen kann.