Erfolgsshow mit Andy Borg „Wo lässt man Sorgen Sorgen sein? Beim Andy, beim Andy.“

Düsseldorf · „Schlager-Spaß mit Andy Borg“ zählt zu den unverwüstlichen Klassikern des Fernsehens. Der Erfolg der Show hängt nicht nur mit dem singenden Moderator zusammen.

Andy Borg in der gediegenen Weinstube seiner TV-Sendung.

Foto: SWR

Eines Tages las Adolf Andreas Meyer ein Gedicht von Schiller. Es heißt „Die Macht des Gesanges“ und gefiel Meyer wegen seines Pathos. Zwei Stellen hatten es ihm angetan. Die erste: „Wer kann des Sängers Zauber lösen, / Wer seinen Tönen widerstehn?“ Meyer kannte das von seinem Auditorium. Er brachte die Leute dazu, dass sie einander sitzend unterhakten und wie menschliche Metronome auf den Bänken nach links und nach rechts schaukelten. Zum Schunkeln kam bei Schiller aber noch ein anderes hinzu: „Es schwinden jedes Kummers Falten, / Solang des Liedes Zauber walten.“ Auch das konnte Meyer bestätigen. Die Leute kamen mit des Tages schwerer Last zu ihm, dem singenden Muntermacher. Und wenn sie den Saal verließen, waren sie imprägniert gegen alle Unbill. Abermals Schiller: „Und jede andre Macht muss schweigen, und kein Verhängnis fällt ihn an.“

Nun gibt es keinen größeren Kontrast als Friedrich Schiller und die Liedtexte, die Meyer singt. Kenner der Szene wissen, dass es sich bei Meyer um einen weithin bekannten Barden mit Künstlernamen handelt. Er ist nicht nur die Titelfigur einer Serie des SWR-Fernsehens, die den vielsagenden Titel „Schlager-Spaß mit Andy Borg“ trägt, er ist auch ihr Zentralgestirn, ihr singender Germknödel, weil: Der Borg Andy ist sehr fruchtig, er glänzt auf jedem Tablett und Parkett, wirkt eher gedrungen, ist aber absolut eine Hauptspeise und ungeheuer nahrhaft. Wegen der Hefe neigt der Germknödel zum Aufgehen.

Andy Borg kann einen ganzen Saal vier Stunden lang unterhalten, ohne schlappzumachen. Er besitzt dieses Gen des Staubsaugerverkäufers, das bei Bedarf die neuronale Aktivität im Sprachzentrum von jetzt auf gleich um 300 Prozent hochregelt. Ebenso angeboren ist bei Borg der dialektale Charme des Niederösterreichischen, dessen weich rollende Gaumigkeit sich aufs Schönste vom ätzenden Wienerisch abhebt. Diesen phonetischen Wettbewerbsvorteil setzt Borg ohne Unterlass ein. Er verspricht einem das Blaue vom Himmel und lügt einem frech ins Gesicht, dass sich die Weintische biegen. In der jüngsten Folge, derer man in der ARD-Mediathek habhaft werden kann, wird einmal von allen Gastsängern eine Version von „Pretty Woman“ gesungen, und das habe man, sagt Borg mit durchschaubarer Treuherzigkeit, am Nachmittag spontan entschieden. Wenn im „Schlager-Spaß“ irgendetwas nicht stattfindet, dann Spontaneität. Es ist alles durchinszeniert und durchgeprobt. Zum Glück! Damit niemand aus dem Takt gerät, herrscht ein dermaßen organisierter Klatschzwang, dass es fast zum Gruseln ist.

Schon beim Einmarsch hört man in der „gemütlichen Weinstube“ die schönste aller Versprechungen: „Wo lässt man Sorgen Sorgen sein? Beim Andy, beim Andy.“ Die Wiederholung soll auch Skeptiker überzeugen, dass gleich alles lustig wird. Und das wird es. Die Tische sind mit Rotwein in Karaffen schwer beladen, dazu gibt es Laugenbrezeln. Fleißige Mundschenke laufen zum Zwecke der Auf- und Abfüllung umher. Noch umtriebiger ist Andy Borg. Immer muss ja auch jemand begrüßt werden, der auf seinen Aufruf zum Auftritt wartet.

An einem Tisch sitzt ein Trio der Altstars beisammen, neben Borg zunächst Patrick Lindner, der derzeit die zweite Blüte seiner Karriere auskostet, und dann Peter Orloff, der tatsächlich schon 80 Jahre alt ist und breitbeinig einen sicheren Stand auf der Bühne zu finden sucht. Tatsächlich kann der Mann nicht aufhören und sitzt in diesen Wochen dauerhaft im Tourneebus; täglich zwischen Cottbus, Aurich und Würselen wird kaum ein Ortseingangsschild ignoriert. Irgendwie sieht man den „König der Hitparade“ gern. Tanzt die Silberlocke wieder Kasatschok? Nein, das lässt Orloff mittlerweile bleiben.

Natürlich ist das eine Welt von gestern. Man darf noch von „feschen Madln“ schwärmen, ohne dass die ARD-Programmdirektion einschreitet. Man darf Witze reißen, ohne dass die Humorpolizei Strafzettel ausstellt. Aber das macht alles nichts, denn die Vortragskunst ist ungetrübt. Die Lauser etwa, die ein Oberkrainer-Medley aufführen, bestehen aus lauter Virtuosen. Und dass ein gewisser Silvio d’Anza ausgebildeter Tenor ist, schmettert er uns sogleich um die Ohren. Für die deutlich leichteren Momente des Singens sind Leute wie Ramon Roselly (bürgerlich: Ramon Kaselowsky) zuständig, der erst Gebäudereiniger war, dann „Deutschland sucht den Superstar“ gewann und nun mit Dieter Bohlens Gunst rumgereicht wird.

Ja, zwischen Schlager und volkstümlicher Musik ist alles erlaubt hier, in der neuen Folge tritt auch wieder Penny McLean auf (Jahrgang 1946), rosige Zeiten dürfen auf Teufel komm raus nicht vergehen. Die Leute lieben das. Alle anderen schließt Schiller ein, der in jenem Gedicht die perfekte Reaktion auf Schlagerspäße und andere Gesänge fand: „wolllustvolles Grausen“.