Projekt „Odyssee“ des Stadtkollektivs Vom Leid und Mut der Geflüchteten

Schicksale aus dem Krieg in der Ukraine zeigt das neueste Projekt des Stadtkollektivs am Schauspielhaus Düsseldorf. Das Stück „Odyssee“ erzählt ganz unterschiedliche Geschichten geflüchteter Frauen. Ein Besuch bei den Proben.

„Odyssee“ ist eine Inszenierung mit Menschen aus der Ukraine und aus Düsseldorf - frei nach Homer von Pavlo Arie.

„Odyssee“ ist eine Inszenierung mit Menschen aus der Ukraine und aus Düsseldorf - frei nach Homer von Pavlo Arie.

Foto: Thomas Rabsch

Der Ehemann von Renat ist auf gefährlicher Mission, eingesetzt als Mienenräumer an der ukrainisch-russischen Front. Seine junge Frau, nach Düsseldorf geflüchtet, bangt Tag für Tag um ihn und fiebert jedem Lebenszeichen entgegen. Martas Haus steht in Irpin, Hals über Kopf musste sie es verlassen. Iryna hat ihren Mann verloren. Mit ihrem 14-jährigen Sohn kam sie nach Deutschland, voller Sorge, wie er es verkraften wird, ohne Vater aufzuwachsen.

Es sind echte Schicksale geflüchteter Frauen aus der Ukraine, die in „Odyssee“ auf der Bühne nachgezeichnet werden. Der Dramatiker Pavlo Arie hat sie für ein Projekt des Stadt:Kollektivs am Schauspielhaus aufgeschrieben und mit Motiven aus Homers „Odyssee“ verwoben, Uraufführung ist am 10. Februar im Kleinen Haus. Auch Arie hat die Ukraine im März 2022 verlassen. „Ich bin nicht geblieben, habe nicht zur Waffe gegriffen“, sagt er. „Mein schlechtes Gewissen ist auch eine Motivation, mich hier nützlich zu machen und mit meinen eigenen Waffen um die Werte meiner Heimat zu kämpfen.“ Sechzehn Theaterprojekte habe er in diesem einen Jahr realisiert, noch nie so wenig geschlafen, noch nie so intensiv gearbeitet.

Sein Stück, in dem neben den ukrainischen Frauen sieben Düsseldorferinnen und zwei Jungen mitwirken, erzählt keine Heldengeschichte wie in dem altgriechischen Mythos. Eigentlich müsste seine Neudichtung „Penelope“ heißen, räumt Pavlo Arie ein. Sie ist es, die hier im Mittelpunkt steht. 20 zermürbend lange Jahre hat sie auf ihren Mann Odysseus gewartet und alle Freier abgewehrt. „Im Original hat sie keine eigene Stimme“, erklärt Dramaturgin Birgit Lengers. „Alles, was Penelope bei Homer nicht ausspricht, wird hier aus weiblicher Perspektive formuliert. Ihre Sehnsucht, ihre Verzweiflung, ihre Anklage an die Götter.“ Wie die mutigen Frauen in der Ukraine, die ihr Schicksal notgedrungen in die Hand nehmen, wandelt sich Penelope in dieser „Odyssee“ von der einstmals passiven Zuschauerin zur aktiv Handelnden.

Regisseur Stas Zhyrkov arbeitet seit 2016 in Deutschland. Vielfach waren es Inszenierungen über die Ukraine, die Geschichte seines Landes und dessen kulturelle Identität. „Erst seit dem 24.Februar 2022 sehe ich, dass Deutschland langsam zu verstehen beginnt, was wirklich passiert“, sagt er. Das Laien-Ensemble von „Odyssee“ formte er nach ausgiebigen Castings. „Wir hatten allein über 100 Bewerberinnen aus der Ukraine und daher die freie Auswahl“, so der Regisseur. „Das ganze Team ist hochmotiviert. Und trotz aller Tragik blitzt bei den Proben viel Humor durch. Er ist die rettende Kraft, in jeder Situation.“

Das bestätigt auch Olha, die perfekt Deutsch spricht. Sie kam schon 2018 nach Düsseldorf, weil sie sich in ihrer Heimat nicht mehr sicher fühlte. „Ich wollte nicht warten, bis man mir alles wegnimmt“, sagt sie. Mit ihrer heute sechsjährigen Tochter gelang ihr der Neustart. „Ich mache ganz viel, arbeite in einem IT-Unternehmen, in einer Kita und als Übersetzerin. Damit ich schnell Kontakte knüpfe und Freunde finde, mit denen ich quatschen kann.“ Sie lacht. „Aber das Allerschönste ist dieses Theaterprojekt. Ich bin unendlich dankbar dafür. Jetzt erfülle ich meinen Traum.“ Ihre Mitspielerinnen haben es weitaus schwerer. Sie leiden unter den Folgen der Flucht ins Ungewisse, den traumatischen Eindrücken des Krieges, der Angst um ihre Männer. „Die Frauen können nichts tun, diese Hilflosigkeit macht sie kaputt“, weiß Olha. „Aber auch sie sind alle froh um dieses Theater. Damit haben sie etwas ganz Tolles für sich entdeckt und können ihren Kummer eine Weile ausblenden.“

Musik von Mariana Sadovska reichert das Stück an. Der Probenbesuch ließ ahnen, wie berührend diese schwermütigen Gesänge sind, wie stark sie die Handlung betonen. „Odyssee“ wird zweisprachig gespielt und übertitelt. Pavlo Arie hat in seinem Text mehrere miteinander verflochtene Stränge geschaffen und eine Liebesgeschichte zwischen einem Jungen aus der Ukraine und einem Düsseldorfer Mädchen eingefügt. Diese Rolle spielt Alrun Göttmann (15). Bei „Making of Shakespeare“, ebenfalls fürs Stadt:Kollektiv, fing sie Feuer, wollte unbedingt auch bei „Odyssee“ dabei sein: „Theater ist megaschön.“ Einen Krieg in Europa habe sie sich zuvor kaum vorstellen können. „Durch die Schicksale der ukrainischen Frauen hat sich mein Bewusstsein verändert, das geht mir total nahe“, erzählt sie. „Ich liebe diese Produktion und jeden, der dabei mitmacht. Einmal haben wir nach der Probe zusammen gefeiert und waren alle der Meinung, dass wir eine Familie sind.“

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