Schauspielhaus Düsseldorf „Die Nacht so groß wie wir“ - erwachsen werden beim Abiball

Düsseldorf · Die Roman-Adaption „Die Nacht so groß wie wir“ des Bürgertheaters „Stadt:Kollektiv“ feierte Premiere im Düsseldorfer Schauspielhaus. Zu erleben war ein Versuch über das Erwachsenwerden zwischen Instagram und Initiations-Ritual.

Szene aus der Inszenierung mit (v.l.): Angelika Titz, Julia Manafzadeh, Amelie Wilkens und Henrik Zuber.

Szene aus der Inszenierung mit (v.l.): Angelika Titz, Julia Manafzadeh, Amelie Wilkens und Henrik Zuber.

Foto: Sandra Then

Die erste Inszenierung des Bürgertheaters „Stadt:Kollektiv“ am Schauspielhaus ist eine Roman-Adaptation. „Die Nacht so groß wie wir“ lockt schon im Titel mit dem Versprechen eines ereignisreichen Abends. Aus der Geschichte um eine aus dem Ruder geratene Abi-Feier hat Salome Dastmalchi einen szenischen Abend mit zehn jungen Darstellerinnen und Darstellern gemacht. Eigentlich sind es nur fünf Abiturienten, aber mit der Verdoppelung ihrer Rollen will die Regisseurin wohl verdeutlichen, wie komplex das „Coming of Age“, das Erwachsenwerden also, in der heutigen Zeit sein kann.

Schulfeierlichkeiten werden mangels passender Räumlichkeiten häufig in der Turnhalle abgehalten. Einem nach Gummi und Schweiß riechenden Saal, der bei den Schülern nicht selten mit bösen Erinnerungen einhergeht. Auch im Kleinen Haus ist eine Turnhalle zu erleben, und man staunt, wie groß dessen Bühne daherkommt. Die Ausstatterin Susanne Hiller hat dort ein gewaltiges Rechteck mit stufigem Abschluss eingerichtet, natürlich völlig aseptisch und so neu, dass sich die Sneakers von Jung und Alt zu einem Quietsch-Parcours treffen könnten.

Aber um Alt geht es nicht in dieser Nacht. „Alt“ ist der Mann, der den fünf Freunden am Morgen ihr Abiturzeugnis überreicht hat, und das mit den Worten: „Heute entlassen wir Sie in das Erwachsenenleben.“ Für den Abend war dann ein glamouröser Abiball geplant, wie es die Tradition am Humboldt-Gymnasium will. Doch die fünf Freunde Maja, Tolga, Pavlov Suse und Bo treffen sich schon wieder in der Turnhalle. Maja, die Intelligenzbestie mit Weltverbesserungsehrgeiz hat eine Abstimmung so manipuliert, dass man die Ballkosten für wohltätige Projekte spenden kann.

Jetzt also sitzen sie zusammen, und eine gibt das Motto dieser merkwürdigen Party vor: „Das ist die Nacht, in der wir sterben müssen. Vom Ungeheuer verschlungen und dann wiedergeboren.“ Man kennt sich seit der fünften Klasse, als Schülerinnen und Schüler. Doch die Ungeheuer lauern vor allem außerhalb der Bildungsmauern. Alle tragen so ein Tier mit sich herum, aus der Familiengeschichte und anderen Traumata.

Pavlov beginnt: Sein Ungeheuer ist die neue Familie seines Vaters, der sich nur um seine neue Familie kümmert. Suse hat ihren Vater durch einen Verkehrsunfall verloren. Die Wahlfälscherin Maja fragt sich nun, ob Gutes aus einer schlechten Tat entstehen kann. Tolga ist einfach allgemein ratlos, findet aber selbst dafür keine Worte. Und Bo, der für sein Abitur den Umweg über eine Gesamtschule ging, hat sein emotionales Ungeheuer tief im Brustkorb eingeschlossen.

Doch die Ehrlichkeitsausbrüche und explosive Befreiung unterdrückter Gefühle, Geheimnisse oder Eifersucht gewinnen ein bedrohliches Eigenleben. Und so dämmert der Clique, die doch glaubte, alles voneinander zu wissen, dass das Ungeheuer im Lieblingsmenschen lauern kann. Wie im Roman erfährt man auf der Bühne durch Rückblicke, wie alles begann. Beispielsweise, warum ein Schüler über sein Referat zum Pavlovschen Hund, dem berühmtesten Konditionierungs-Experiment aller Zeiten, selbst zu einem „Pavlov“ geworden ist.

Was aber heißt „erwachsen werden“ in einer Welt, in der Jung und Alt den dämlichsten „Influencern“ hinterher laufen, diese gar zu Idolen macht? Ratlosigkeit greift um sich, bis man schließlich über Initiations-Rituale ferner Kulturen spricht. Wo junge Männer durch Selbstverstümmelung die Beherrschung des Schmerzes lernen. Oder wo man sie durch Einnähen in Krokodilhäute zur Reife bringt. Womit man wieder beim Reifezeugnis wäre.

Eine Teilbewertung der Dastmalchi-Inszenierung gleich vorab: Diese zehn jungen Laiendarstellrinnen und -darsteller haben jeden Applaus verdient. Sie gehen souverän mit ihren halben Doppelrollen um, auch wenn die Farben der Trainings-Outfits eine Zuordnung ermöglichen. Alle sind textsicher, bewegungsstark und ungeheuer emotional. Alle haben über die lange Probenzeit das für ein Ensemblespiel nötige Vertrauen zueinander gefunden.

Was die im Ganzen durchaus fesselnde Handlung betrifft, stellen sich indes einige Fragen. Mit dem derzeit wohl angesagten Gender-Eifer mischt die Regisseurin die Doppelrollen ohne Rücksicht auf deren Geschlecht. Das erschwert den Zuschauern unnötig die ohnehin komplizierte Zuordnung der fünf Rollen. Zudem hält die Länge des Abends von beinahe zwei Stunden dessen Spannungskurve nicht aus. Eine Kürzung würde dem an sich beeindruckenden Spiel gewiss nicht schaden.

Das wäre dann vielleicht auch eine Form von „Erwachsen werden“.

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