Heinrich Schliemann vor 200 geboren Von einem, der auszog, die Antike zu finden

Düsseldorf · Mit Hilfe der „Ilias“ des Homer entdeckte Heinrich Schliemann den Ort des sagenhaften Troja. Allerdings grub er zu tief und zerstörte dadurch zahlreiche Schätze. Zu seinem 200. Geburtstag sind zahlreiche Bücher über ihn erschienen.

 Die AusgrabungenTrojas 1870-1882 durch Heinrich Schliemann.  Photographie, handschriftl.bez. Berlin, Slg.Archiv f.Kunst & Geschichte.

Die AusgrabungenTrojas 1870-1882 durch Heinrich Schliemann. Photographie, handschriftl.bez. Berlin, Slg.Archiv f.Kunst & Geschichte.

Foto: akg-images / dpa

Würde man dieses Leben in einem Roman erzählen, kaum einer würde es glauben. Ach, zu unwahrscheinlich das Ganze. Viel zu bunt. Zu abenteuerlich die Geschichte. Zu spektakulär. Ein Märchen also. Besser: eine Legende. Wahrscheinlich wäre aber genau das im Sinne von Heinrich Schliemann: sein eigenes Leben als Mythos erzählt! Das wär’s. Schliemann hätte als großer Selbstdarsteller kräftig daran mitgeholfen. Mit etlichen Büchern, fingierten Autobiografien und seinen farbenfrohen Berichten in mehr als 60.000 Briefen. Mit Fakten nahm er es nicht ganz so genau, heroisierte sein eigenes Tun nach Leibeskräften und posaunte dies in alle Welt hinaus, ob die  nun hören wollte oder nicht.

Dabei ist die wahre Geschichte seines rastlosen Lebens atemberaubend genug. Es ist das Märchen von einem, der auszog, die Antike zu entdecken und die Welt das Staunen zu lehren. Heinrich Schliemann wird den Beweis liefern, dass die Weltepen des Homer vor knapp 3000 Jahren mehr als die Heldendichtung eines großen, phantasiebegabten Erzählers gewesen sind. Troja und den trojanischen Krieg hat es gegeben. Und die Beweise liegen tief unter der Erde im westtürkischen Hisarlik. Dort lässt Schliemann 1870 erstmals graben; Mitte 40 ist er da. Und drei Jahre später wird es das finden, was er finden wollte: das vermeintliche Troja! Zur Krönung seiner Suche wird der Goldschmuck aus dem angeblichen Besitz des Priamos. Den legt er seiner jungen Frau Sophia an und verwandelt sie damit in die schöne Helena.

Ist das also der Höhepunkte eines ruhelosen Lebens, das so klein und so grau beginnt? Vor 200 Jahren, am 6. Januar 1822, wird Heinrich Schliemann geboren. Neubukow ist ein Nest in der Nähe von Rostock, und sein Vater, der Dorfpfarrer, ein alles in allem „liederlicher“ Mensch. Fürs Gymnasium fehlt das Geld, also beginnt Heinrich eine Krämerlehre in Fürstenberg an der Havel. Das kann nicht alles gewesen sein. Die südamerikanische Ferne lockt und mit ihr das große Glück. Es ist der 28. November 1841, als die Brigg „Dorothea“ von Hamburg aus mit dem jungen Schliemann an Bord in See sticht. Doch schon bald gerät das Schiff in einen Orkan, zerbricht und sinkt. Im eisigen Wasser bekommt Schliemann noch eine leere Tonne zu fassen (in späteren Erzählungen wird es ein Koffer sein), klammert sich daran fest, wird als einer der wenigen Überlebenden auf eine Sandbank vor Texel gespült – und gerettet.

Heinrich Schliemann als Geschäftsmann.

Heinrich Schliemann als Geschäftsmann.

Foto: IBL Bildbyra / dpa

Dieser Schiffbruch seines Lebens ist für Heinrich Schliemann eine Prüfung. Die hat er bestanden. Also wird er auch alles weitere schaffen. Mit eiserner Disziplin. Mit Energie. Dem richtigen Näschen. Er wird 1841 Kontorbote in Amsterdam, eignet sich im unerbittlichen Selbststudium nächtelang 15 Sprachen in nur sechs Jahren an, wird schließlich Handelsagent in St. Petersburg, macht sich dort alsbald selbständig, reist nach Kalifornien und vervielfacht dort mitten im Goldrausch sein Vermögen mit einem Geldhaus in Sacramento. Zurück in Russland scheffelt er während des Krimkriegs weitere Millionen als Ausstatter der Zaren-Armee.

Aber auch das ist längst noch nicht genug gewesen für ihn. Sein Ruhm mag groß sein, doch Geld allein macht niemanden unsterblich. Es ist das Jahr 1864, als der Multimillionär Heinrich Schliemann all seine Geschäfte liquidiert und in Paris mit dem Studieren beginnt. Philologie, Philosophie, Literatur. Homer hat ihn schon früher fasziniert, jetzt rückt ihm der größte antike Dichter zunehmend auf die Pelle. Was also, wenn Homer auch ein Geschichtsschreiber war, der in kunstvollen Hexametern nacherzählte, was sich einst tatsächlich zugetragen hatte? Homer wird das Eichmaß seiner Forschung. Während seiner ersten Grabungscampagne 1871 schreibt er: „Die Schwierigkeiten vermehren nur mein Verlangen, das jetzt endlich vor mir liegende Ziel zu erreichen und zu beweisen, dass die ,Ilias‘ auf Thatsachen beruht.“

Sophia Schliemann mit dem vermeintlichen „Schatz des Priamos“.

Sophia Schliemann mit dem vermeintlichen „Schatz des Priamos“.

Foto: Mary Evans Picture Library / dpa

Das sind Schliemanns riesige Verdienste: der Literatur zu vertrauen und mit ihr Licht ins Dunkel unserer Vergangenheit zu bringen; und mit seinen Grabungen praktisch eine neue Wissenschaft zu begründen: die Archäologie als Spatenwissenschaft. Seine großen Fehler: Der Amateurarchäologe Schliemann blieb ein Dilettant, der Troja völlig falsch datiert, und der die in der „Ilias“ bedichteten Festung ganz unten in den verschiedenen Siedlungsschichten vermutet. Schliemann will eben der Geschichte auf den Grund kommen und dringt nach heutigen Schätzungen 1000 Jahre zu tief in die Vergangenheit vor. Sein Sichtungsgraben wird das Ausmaß eines kleinen Tals bekommen; 70 Meter ist es breit und 14 Meter tief. Schliemann hat praktisch an Homers Troja vorbeigegraben und dabei einiges vernichtet. Der Entdecker des frühen Trojas wird zugleich einer ihrer späten Zerstörer. Auch das goldene Geschmeide, das seine Sophia trägt, soll etliche hundert Jahre älter sein als angenommen und hat mit Priamos nichts zu tun.

Schliemann, ein Scharlatan, ungestümer Forschergeist, ein unerschrockener Pionier oder doch ein Mythenjäger? So verspotten ihn Zeitgenossen. Vielleicht ist er von allem etwas. Dass man 200 Jahre nach seiner Geburt seiner so umfangreich gedenkt, dürfte für ihn allerdings der angemessene Lohn all seiner Anstrengungen gewesen sein.

Epilog: 1890 planen die Schliemanns einen großen Neujahrsball in ihrer riesigen Villa in Athen, erbaut vom Architekten Ernst Ziller, zwei Etagen mit jeweils 630 Quadratmetern Wohnfläche und einer repräsentativen Dachterrasse. Diese Festivität wird nicht mehr stattfinden. Am 26. Dezember stirbt Heinrich Schliemann auf dem Weg nach Griechenland unerwartet in Neapel. Er wird 68 Jahre alt.

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