Biennale in Venedig Biennale in Venedig eröffnet

Venedig · Die Skulpturen von Sonia Boyce und Simone Leigh gewinnen den Goldene Löwen. Die Düsseldorfer Künstlerin Katharina Fritsch wird für ihr Lebenswerk geehrt. Maria Eichhorn geht im Deutschen Pavillon leer aus.

78 Länderpavillons gibt es auf der Biennale. Großbritannien und USA betonen die schwarze, weibliche Subjektivität, Österreich die queeren Frauen. Belgien widmet sich dem Spiel und Griechenland der Antike, während „Germania“ unter den Fundamenten des deutschen Palastes tief schürfen lässt.

USA Im Eingang zum Arsenal steht eine Riesenlady in schwarzer Bronze, mit Zöpfen und rituellen Kaurischnecken im Haar. Ihr Körper erinnert an eine Bambushütte. Der Kopf bleibt augenlos, als hoffe er auf innere Erfahrungen. Das Ganze wirkt wie eine grobe, aber wirkungsmächtige Demonstration schwarzer weiblicher Künste. Ein Symbol der Zeit also. Ein typisches Werk der schwarzen Künstlein Simone Leigh, die dem Dach des US-amerikanischen Pavillons auch noch einen Aufbau aus Stroh verpasst, womit sie den Kolonialstil persifliert. Im Gebäude selbst spiegelt sich eine gebückte Putzfrau-Figur im dunklen Glas auf dem Boden. Damit gewann Leigh den Goldenen Löwen für den Pavillon der Vereinigten Staaten.

Großbritannien Ähnlichen Geistes, aber vitaler und gefühlvoller ist Sonia Boyce aus London. Sie gilt seit den 1980er Jahren als Schlüsselfigur der Black British Art-Bewegung. Sie lässt auf riesigen Bildschirmen performen, singen, improvisieren und kollaborieren. In ihrem multimedialen Theaterspektakel wollen ihre schwarzen Mitstreiterinnen das Gefühl vermitteln, frei zu sein. „Feeling Her Way“ ist eine vibrierende Installation als Gesangsperformance vor farbig bunten Wandtapeten, die den Briten gleichfalls den Goldenen Löwen einbrachte.

Österreich Austria war noch nie so sinnlich, ironisch, humorig und dennoch ernsthaft in der Auslotung von Grenzerfahrungen. Das bisexuelle Duo Jakob Lena Knebl und Ashley Hans Scheirl inszeniert Fragen zur Identität und körperlichen Teilhabe als buntes, überraschendes Spektakel. Scheirl gehört mit über 50 Filmen zu den Pionieren der queeren Bewegung im Feld der Kunst. Sie wie Knebl fassen die Malerei räumlich auf. Der Besucher betritt eine schillernde Selbstinszenierung, wobei Rollenzuschreibung, Geschlecht, sexuelle Orientierung, Hautfarbe und Status in den Kunststofffiguren ständig wechseln. Hybride in Schweinchenrot und Giftgrün vermischen sich mit Möbeln aus der Designgeschichte. „Wir spielen unsere Identität, um sie zu überschreiten. Wir müssen üben. Wir haben eine Bühne des Alltags“, sagen sie mit verteilten Rollen.

Griechenland Nur jeweils sieben Neugierige dürfen gleichzeitig den griechischen Pavillon betreten, werden mit VR-Brillen versehen und auf Spezialstühlen verstaut. Sie erleben einen blinden Ödipus, den Loukia Alavanou als Fremden auf Kolonos auftauchen lässt, wo er keine Bleibe findet. In der virtuellen Realität landet er im Käfig voller Geiern, die auch die Zuschauer bedrängen. Die Künstlerin lässt die antike Tragödie als Flüchtlingsdrama von Roma-Gemeinden der Gegenwart aufführen und singen.

Belgien Einen Preis verdient hätte auch der in Mexiko City lebende Francis Alÿs, der seit 1999 auf seinen vielen Reisen spielende Kinder filmt. Sie lassen die Welt der Hochhäuser mit einem bloßen Gummitwist vergessen, rennen einem Ball hinterher und lassen die raue Gegenwart hinter sich. Da rollt ein bunt gekleideter schwarzer Junge aus dem Kongo einen schweren Lastwagenreifen auf die schwarzgraue Abraumhalde einer Kobaltmine, als habe er einen leichten Ring vor sich, schiebt und umtanzt ihn, um ihn am Ende wieder ins Tal sausen zu lassen. Surreal ist das Spiel, traumhaft schön der kleine Sisyphos.

Deutschland Im Germania-Pavillon herrscht Leere. Maria Eichhorn ließ den Putz abklopfen und unter dem Fußboden graben. Sie hätte am liebsten das Gebäude mit all den Umbauten, falschen Säulen und sakralen Überhöhungen aus de Nazizeit an einen riesigen Kran gehängt und über die Bäume hinweg auf einen schwimmenden Ponton gehoben. Nach Ende der Biennale hätte man den Palast mit derselben Technik wieder an seinen alten Standort zurückkehren lassen können. Da der Palast noch steht, wird klar, dass sie ihren Willen nicht erfüllt bekam, sondern nur mit dem Gedanken spielte, wenn auch gründlich und teuer, denn dafür wurde über zwei Millionen Euro ausgegeben.

Die Konzeptkünstlerin sucht und findet Nahtstellen und Übergänge zwischen dem einstigen bayerischen Pavillon von 1909 und den kapitalen Eingriffen von 1938. Sie öffnet Fundamente und Durchgänge, untersucht freigelegte Ziegelsteine und fremde Betonteile. Die Besucher blicken in Hohlräume und auf altes Mauerwerk unter dem schönen Steinfußboden. Um mehr zu wissen, müssten sie den schweren, 370 Seiten starken Katalog zu Hilfe nehmen, wo die Künstlerin ihr radikales Denken schriftlich ausbreitet und Kurator Yilmaz Dziewior ihr beipflichtet. Verbissen arbeiten sich Künstlerin und Kurator an der Architektur ab und bemühten Kunsttheoretiker, Aktivisten und Archivare, um sich ihre Entdeckungen bestätigen zu lassen. „Ich betrachte den Deutschen Pavillon in Bezug auf staatlich-territoriale und geopolitische, globale und ökologische Entwicklungen“, erklärt sie lehrerhaft. Sie organisiert auch Stadtführungen auf den Spuren jüdischer und deutsch-venezianischer Nazi-Geschichte.

 21.04.2022, Italien, Venedig: Die US-amerikanische Bildhauerin Simone Leigh (r) und die Kuratorin Eva Respini nehmen an einer Pressekonferenz vor der Skulptur "Satellite" teil, die Teil der Installation "Sovereignty" ist, während der Enthüllung des Pavillons der Vereinigten Staaten auf der 59. Biennale der Künste in Venedig. Foto: Luigi Costantini/AP/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

21.04.2022, Italien, Venedig: Die US-amerikanische Bildhauerin Simone Leigh (r) und die Kuratorin Eva Respini nehmen an einer Pressekonferenz vor der Skulptur "Satellite" teil, die Teil der Installation "Sovereignty" ist, während der Enthüllung des Pavillons der Vereinigten Staaten auf der 59. Biennale der Künste in Venedig. Foto: Luigi Costantini/AP/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Foto: dpa/Luigi Costantini
 Visitors view "Invitation of the Soft Machine and Her Angry Body Parts" by artists Jakob Lena Knebl and Ashley Hans Scheirl, at the Pavilion of Austria during a press day at the 59th Venice Art Biennale in Venice on April 20, 2022. - Eighty countries, including Ukraine, will have a pavilion at the 59th Biennale, which is set to begin on April 23 and runs through November. (Photo by Vincenzo PINTO / AFP) / RESTRICTED TO EDITORIAL USE - MANDATORY MENTION OF THE ARTIST UPON PUBLICATION - TO ILLUSTRATE THE EVENT AS SPECIFIED IN THE CAPTION

Visitors view "Invitation of the Soft Machine and Her Angry Body Parts" by artists Jakob Lena Knebl and Ashley Hans Scheirl, at the Pavilion of Austria during a press day at the 59th Venice Art Biennale in Venice on April 20, 2022. - Eighty countries, including Ukraine, will have a pavilion at the 59th Biennale, which is set to begin on April 23 and runs through November. (Photo by Vincenzo PINTO / AFP) / RESTRICTED TO EDITORIAL USE - MANDATORY MENTION OF THE ARTIST UPON PUBLICATION - TO ILLUSTRATE THE EVENT AS SPECIFIED IN THE CAPTION

Foto: AFP/VINCENZO PINTO
 Ein Betrachter der Arbeit der Künstlerin Loukia Alavanou sitzt vor der 59. Kunstbiennale (23.4.-27.11.) beim Preview Opening im Griechischen Pavillon mit einer Videobrille. Die alle zwei Jahre stattfindende Biennale Arte gilt weltweit als das älteste und nach der documenta in Kassel bedeutendste internationale Forum der zeitgenössischen Bildenden Kunst.

Ein Betrachter der Arbeit der Künstlerin Loukia Alavanou sitzt vor der 59. Kunstbiennale (23.4.-27.11.) beim Preview Opening im Griechischen Pavillon mit einer Videobrille. Die alle zwei Jahre stattfindende Biennale Arte gilt weltweit als das älteste und nach der documenta in Kassel bedeutendste internationale Forum der zeitgenössischen Bildenden Kunst.

Foto: picture alliance/dpa/Felix Hörhager/DPA
 59th International Art Exhibition BIENNALE ARTE 2022 The Milk of Dreams. Venice 23.04 - 27.11 2022. Giardini: Katharina Fritsch / Elefant - Venice Italy 19 April 2022, Credit:Mirco Toniolo / Avalon

59th International Art Exhibition BIENNALE ARTE 2022 The Milk of Dreams. Venice 23.04 - 27.11 2022. Giardini: Katharina Fritsch / Elefant - Venice Italy 19 April 2022, Credit:Mirco Toniolo / Avalon

Foto: dpa/Mirco Toniolo / Avalon / dpa

Einen Goldenen Löwen für ihr Lebenswerk bekam zudem die Düsseldorfer Künstlerin Katharina Fritsch. Die für ihre Plastiken international bekannte Künstlerin eröffnet mit einer Arbeit den zentralen Raum in den Giardini von Venedig. Im Eingangsbereich empfängt Fritschs lebensgroßer „Elefant“ von 1987 die Besucherinnen und Besucher, dessen Verbindung von grünlicher Farbe und realistischen Formen auf die surrealistische Reise der Ausstellung vorzubereiten scheint.

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