Ruhrtriennale: Liebe ohne Regie

Wollte man alles erzählen, was sich in der Duisburger Gebläsehalle unter dem Exstase versprechenden Titel "Amo! – Ich bin ein Liebender" zugetragen hat, würde man so schnell nicht fertig. Denn das Zugpferd des Abends, der fabulöse Countertenor Philippe Jaroussky, war entgegen der Ansage tatsächlich nur einer unter vielen sich solistisch produzierenden Künstlern. Netto hat Jaroussky kaum mehr als ein Viertel des revueartigen Abends bestritten. Leider.

Es begann zunächst verheißungsvoll: Im Halbrund bauten sich die zehn Ausnahmemusiker des Ensembles "L'Arpeggiata" und zwei Gäste auf und spielten, dezent angetrieben von ihrer Leiterin Christina Pluhar, jene kühne Mischung aus Barock, Improvisation und Jazz, für die sie berühmt und berüchtigt sind. Dieser Stil-Cocktail ist deshalb so hochprozentig, weil er nicht einfach das eine dem anderen untermischt, sondern aus dem Geist der spielerischen Improvisation mit kühner Konsequenz Barockes als frühen Jazz und Jazz als späten Barock begreift, dass einem schier Hören und Sehen vergeht.

Es war ein leicht swingender, mit zwei Harfen und Psalterion duftig unterfütterter Klangteppich, über dem Jaroussky dann in einem langen Arrangement erstmals seine kostbare Stimme erhob. Sein Countertenor klingt hell, er führt ihn leicht und wendig, und doch ist in der Stimme eine Glut, die unter die Haut fährt. Schon nach zwei Phrasen sitzt man auf der Stuhlkante, andächtig dem Piano lauschend, sich versenkend in die Melismen, die Jaroussky zum Sprechen zu bringen zu vermag, und badend im unvergleichlich sanften und strahlenden Klang der Stimme.

Doch nach diesem beglückenden Beginn kündigte sich Unheil an. Es begann mit dem Auftritt einer barfüßigen Tänzerin, die mit Zornesfalte auf der Stirn und Löwenmähne Veitstänze aufführte. Dann trat mit Lucilla Galeazzi eine Jazz-Sängerin auf, die im italienischen Volkston Gesänge und Szenen einer resoluten Mittvierzigerin zum Besten gab. Es folgte der große Jazz-Klarinettist Gianluigi Trovesi mit ungeheuer lässigen und witzigen Soli, von denen man gerne mehr gehört hätte. Dann virtuose Duette zwischen Gitarre (Quito Gato) und paraguayischer Harfe (Lincoln Almada). Und schließlich enterte die E-Harfenistin Deborah Henson-Conant in Cowboy-Stiefeln die Bühne, gackerte mit Galeazzi ein Tierstimmenduett, bearbeite mit drei Mitstreitern eine Harfe und griff zuletzt zu ihrer scheußlich bemalten E-Harfe und plumpen Klassik-Zitaten.

Da war aus dem Abend längst ein Kindergeburtstag geworden, mit vielen lustigen, erhellenden, aber auch peinlichen Momenten. Und spätestens als Jaroussky in der finalen "Und jetzt alle"-Runde spontan sein Sakko wie ein Lasso über dem Kopf schwang wurde überdeutlich, was dem Abend dringend fehlte: ein Regisseur.

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