Essen Die Unterwelt der Eurydike sieht öde aus

Essen · Die Ruhrtriennale zeigt ein "Orfeo"-Projekt in der Zeche Zollverein. Monteverdi kommt kaum vor.

Die Dauer unseres Aufenthalts hier sei ungewiss, raunt eine Dame auf Englisch in unsere Kopfhörer, und vor allem dürfen wir uns nicht umdrehen. Das war ja der Frevel des Orpheus, der die tote Eurydike mit himmlischem Gesang aus der Unterwelt loseisen wollte, doch bei den Göttern auf Granit biss, als er sich ihrem Verbot widersetzte und guckte, ob sie ihm folgte. Er wurde zum Weinen verdonnert - und Eurydike blieb, wo sie war.

Wie es ist bei den Verblichenen, zeigt uns seit gestern das "Orfeo"-Projekt der Ruhrtriennale. Der Tod kommt dort planmäßig auf Raten. In der Zeche Zollverein müssen wir in Gruppen zu acht Leuten vom Wiegeturm mit einer Kabinenbahn zur Kokerei gondeln, wo ein kleines Barock-Orchester sphärische Klänge in den halligen Raum geigt. Das fängt schön an. Sodann dürfen wir bei Grünlicht einen seltsamen Raum betreten, in dem eine synthetische Dame in Weiß, mit Gummimaske und Perücke, auf einem Sofa sitzt. Ist es Eurydike? Ist sie entrückt? Keiner weiß es.

Ohnehin werden wir im Unklaren gelassen, was das hier soll. Mit Monteverdi, dem Komponisten, hat das "Sterbe-Projekt" von Susanne Kennedy, Suzan Boogaerdt und Bianca van der Sichoot wenig zu tun. Monteverdi gibt es nur für ein paar Takte. Den Künstlerinnen geht es um eine Welt, "die mit der ambivalenten Beziehung zwischen realen physischen und virtuellen Zuständen spielt". Diese "hyperreale Umgebung" bewohnen "synthetic girls".

Das klingt hochgemut, ist aber langweilig. Wir streifen durch Räume, in denen wir jeweils etwa zehn Minuten verweilen, ohne dass Relevantes passiert. Überall sterbensblasse Puppenfrauen. Einmal essen sie Kirschen, zwei Zimmer weiter spielen sie Streichquartett auf weißen Instrumenten. Dann kommen wir ins Vorzimmer des Todes, von wo wir zum jammernden Orpheus (auch mit Maske) geleitet werden, der die wenigen Töne Monteverdis nicht mal sauber trifft; diese Gummimasken sind aber auch die Hölle. Im letzten Zimmer liegt eine Frau auf dem Bett - Augen zu, Abend aus.

Es gibt nette Gags im Phantasialand des Todes (einmal bimmelt bei einem Girl das Handy, laut Display ruft Orfeo an), doch die meiste Zeit dieser 80 Minuten Unterwelt starrt man auf die Uhr und wartet aufs Tageslicht. Um mit Konstantin Wecker zu singen: Wir haben zum Sterben (noch) kein Talent. Und Orpheus sollte hier eher Morpheus heißen.

(w.g.)
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