Ausstellung Bildhauer auf der Suche nach dem Schönen

Duisburg · Das Duisburger Wilhelm-Lehmbruck-Museum stellt Skulpturen seines Namenspatrons Werken von Auguste Rodin gegenüber.

 Lehmbrucks "Kniende" vor der Foto-Wandtapete, auf der man diese Skulptur in der New Yorker Armory Show von 1913 wiedererkennt.

Lehmbrucks "Kniende" vor der Foto-Wandtapete, auf der man diese Skulptur in der New Yorker Armory Show von 1913 wiedererkennt.

Foto: Christoph Reichwein (crei)

Der eine ist weltberühmt, der andere gilt 100 Jahre nach seinem Tod noch immer als Künstler für Künstler. Auguste Rodin (1840-1917), ein später stilistischer Nachfolger und Überwinder Michelangelos, hat mit seiner Plastik „Der Denker“, mit erotischen Akten wie beispielsweise „Der Kuss“ und wilden Tänzerinnen Bewunderer gefunden. Wilhelm Lehmbruck (1881-1919) machte sich dagegen zwar zu Lebzeiten ebenfalls international einen Namen, doch außerhalb von Kunstkreisen kennt man ihn kaum. Dabei hat sich Joseph Beuys in seiner letzten, bewegenden Rede tief vor Lehmbruck verbeugt – ein Dank an jenem Ort, an dem Rodin und Lehmbruck jetzt in ihren Werken vereint sind. Das Duisburger Lehmbruck-Museum ehrt sie unter dem schlichten, zugleich kontroversen Titel „Schönheit“.

Wie Lehmbruck den älteren Rodin schätzte, so beriefen sich außer Beuys noch andere Künstler auf Lehmbruck. Die Duisburger Ausstellung verfolgt diese Linien mit hochrangigen Skulpturen und veranschaulicht nebenher, wie sich der Schönheitsbegriff um die Jahrhundertwende wandelte. Lehmbruck gab nun als schön aus, was kurz zuvor, im 19. Jahrhundert, noch als hässlich gegolten hätte. Seine Schönheit war vor allem eine innere: Besinnung als Kern des Menschseins. Heute nennt man das meditieren.

Die „Badende“, eine Nackte, die sich mit der linken Hand grazil über den Unterschenkel fährt, steht noch im Banne des Klassizismus – das erste Kunstwerk übrigens, das die Düsseldorfer Akademie, an der Lehmbruck sich ausbilden ließ, von einem Studenten erwarb. Mit der „Stehenden weiblichen Figur“ schaffte Lehmbruck 1910 den Durchbruch beim Herbstsalon in Paris.

Auf dem Rundgang erlebt man die Werke von Rodin und Lehmbruck stets dicht beieinander. Bald ziehen sich Lehmbrucks Figuren gotisch in die Länge. Wo Rodins berühmter „Denker“ mit aufgestütztem Kinn in sich zu ruhen scheint, wirkt nebenan Lehmbrucks „Sitzender Jüngling“ schon existentialistischer - den langen Kopf auf die gleichfalls gelängten Gliedmaßen gesenkt, ein Sinnender, der zu zweifeln scheint und zugleich von einem neuen Schönheitsverständnis seines Schöpfers zeugt.

Der angrenzende riesige Saal entführt die Besucher zunächst nach New York, in die Armory Show des Jahres 1913, die erste umfassende Ausstellung moderner europäischer Kunst in den USA. Eine fotografische Wandtapete vermittelt einen Eindruck davon, unter anderem mit Lehmbrucks „Kniender“, die als Original das Kabinett beherrscht. Mit dieser Schöpfung wurde er nicht nur auch jenseits des Atlantiks berühmt, er setzte damit zugleich das Ideal einer schlanken, anmutig posierenden Frau in die Welt, an dem sich seither viele orientieren.

Weiter geht es mit Rodin, seinen bronzenen Kleinskulpturen, in denen sich Paar und Einzeltänzerinnen bis zur Ekstase über eine imaginäre Bühne bewegen. Eine Abteilung zum Thema Torso und Fragment verbildlicht, wie sehr Rodin und Lehmbruck mit ihren Torsi den Grund für die Plastik des 20. Jahrhunderts gelegt haben. Plastiken von Körpern ohne Arme, Beine und Kopf aus den Ateliers von Brancusi, Archipenko und Hans Arp zeichnen den weiteren Weg dieses Genres in die Abstraktion nach. Zum Schluss führt die Schau anhand von Lehmbrucks „Großer Sinnender“ eindrucksvoll vor, wie der Künstler ein und dasselbe Motiv mehrfach umsetzte: als ganze Figur, als Torso, als Büste und als Kopf.

Rodin und Lehmbruck, so könnte man ein Fazit des Rundgangs ziehen, waren einander in vielem nah und doch an entscheidenden Stellen auseinander. Lehmbruck rügte an Rodins klassizistischem „Denker“, er sei „so muskulös wie ein Boxer“. Dem hielt er seine eigene Arbeitsweise entgegen: „Was wir Expressionisten suchen, ist: präzis aus unserem Material den geistigen Gehalt herauszuziehen; seinen äußersten Ausdruck“.

Ein zweites Unterscheidungsmerkmal ist der Umgang mit Sexualität. Auguste Rodin zeigte Erotik, Lehmbruck Körperlichkeit und Sinnlichkeit.

Auguste Rodin starb 1917 an einer Lungenentzündung, zwei Wochen nachdem er 53 Jahre nach dem ersten Kennenlernen seine Lebensgefährtin Rose Beuret geheiratet hatte. Wilhelm Lehmbruck, der gebürtige Meidericher, nahm sich nach Stationen in Düsseldorf, Paris und Berlin, wohin er nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs mit seiner Familie geflohen war, 38-jährig das Leben – vor 100 Jahren, am 25. März 1919.

Im Lehmbruck-Trakt des Duisburger Museums ist er ganzjährig präsent. Dort kauert auch „Der Gestürzte“, zeitloser Ausdruck von Lehmbrucks Erschütterung über den Krieg.

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