Tanztheater im Forum Leverkusen Die Apokalypse nach Pina Bausch

Richard Siegal kreierte ein neues Stück für das Tanztheater Wuppertal Pina Bausch. Nun wurde es im Forum Leverkusen uraufgeführt. Spektakulär ist die Idee, eine Installation von Anish Kapoor in die Produktion zu integrieren.

 Das Ensemble des Stücks „Ectopia“.

Das Ensemble des Stücks „Ectopia“.

Foto: Evangelos Rodoulis/Evangelos_Rodoulis

Mit einem fetten und gewaltigen „Rumms“ knallt die große Wachskugel in die Ecke, zerplatzt in blutrote Teile. Fast organisch wirkt die Masse, die sich dort sammelt und Flüssigkeit und Farbe auf dem Bühnenboden verteilt. Die große Kanone, aus der gefeuert wird, steht vorne links am Bühnenrand, grau und bedrohlich, als Zentrum des neuen Stücks „Ectopia“ von Richard Siegal. Es erweist sich als spektakuläre Idee, die Installation „Shooting into the corner“ von Anish Kapoor in ein Tanzstück zu integrieren.

Bisher hat der indisch-britische Bildhauer sein Werk nur in Museen gezeigt, nun aber steht sie als Sinnbild in dieser verstörenden Choreografie für das Tanztheater Wuppertal Pina Bausch. Um neue Wege zu gehen, werden Choreografen eingeladen, mit der Wuppertaler Compagnie zu arbeiten. Da das dortige Opernhaus Hochwasser-beschädigt derzeit nicht bespielbar ist, musste man ins Leverkusener Forum ausweichen. Während sich bisherige Neuinszenierungen immer auf Pina Bausch und ihren vom Menschen ausgehenden Ansatz bezogen, löst sich der Amerikaner Richard Siegal, der in Köln das Ballet of Difference leitet, komplett davon.

Er hat für die sieben Tänzer ein Bewegungsvokabular entwickelt, das den Menschen zu einer Maschine macht, mit technoiden Bewegungen, die von einzelnen Körperteilen und Gesten ausgehen. Verlangsamt und konzentriert bewegen sie sich rutschend über die Bühne, erstarren in Posen wie lebende Skulpturen, meist seltsam gekrümmt und gebogen, wie geschundene Kreaturen in dieser apokalyptischen Umgebung. Die Individualität geht dabei gänzlich verloren. Siegal entwirft ein Untergangsszenario, das sich jedoch nicht weiterentwickelt, sondern ohne große Tempowechsel seltsam verharrt.

Siegal hat die Muster mit seinem eigenen Körper entwickelt und sie dann eins zu eins auf die Tänzer übertragen, eine Arbeitsweise, die Corona geschuldet war. Wie roboterhafte Soldaten bewegen sie sich über die Bühne, stets den militärischen Kontext der Kanone aufnehmend. Diese wird von einem Mann (Oleg Stepanov) geladen, der in die Ecke schießt: Männliches und weibliches Prinzip treffen brutal aufeinander, auch in Gesten, die das Geschlecht andeuten. Dass Gender eine fluide Angelegenheit ist, beweist ein Tänzer, der mit hohen Schuhen und Rockteil über die glatte Fläche wie über (dünnes) Eis stöckelt.

Die bedrohliche Atmosphäre wird durch das beeindruckende Lichtkonzept von Matthias Singer und die Auftragskomposition von Alva Noto untermauert. Die Musik besteht aus Klangflächen aus dem Computer, mal wabernd, mal rhythmisch, knisternd und klackernd, mal staccatohaft wie Schüsse. Nach dem permanenten Wummern und Dröhnen ist man froh über jeden Moment der Stille.

Die Bedrohung des Körpers wird besonders deutlich, wenn die Tänzer ihre Köpfe vor die Kanone halten. Wenn diese geladen wird, baut sich ein Druck auf, den man hören und spüren kann und der äußerst gefährlich wirkt – der Mensch, ein fragiles und verletzliches Wesen. Als sich die Kanone gen Publikum wendet, fällt der Eiserne Vorhang: Nochmal Glück gehabt.

Info Weitere Aufführungen am 10. und 11. November im Forum Leverkusen.

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