Film „Rheingold“ über Rapper Xatar Im Gleitflug durch die Unterwelt

Fatih Akin erzählt in seinem neuen Film das Leben des Rappers Xatar, der einst einen Goldtransport überfiel. „Rheingold“ ist ein spannender Film. Aber beim Abhaken der Lebensstationen bleibt die Handschrift des Regisseurs blass.

Emilio Sakraya als Xatar mit der Rapperin Schwester Ewa.

Emilio Sakraya als Xatar mit der Rapperin Schwester Ewa.

Foto: dpa/Gordon Timpen

Der Deutschrapper Xatar ist ja wirklich eine interessante Figur. Er wurde nicht bloß mit seiner Musik bekannt, da war auch noch der Überfall auf einen Goldtransport, den er 2009 mit ein paar Kumpels durchgezogen hatte. Sie verkleideten sich als Polizisten, setzten ein Partyblaulicht auf ihr Auto und hielten einen Fahrer an, der Zahngold auf der Ladefläche kutschierte. Sie erbeuteten nach offiziellen Angaben 59 Kilo Gold, nach eigenen 250 Kilo, jedenfalls betrug der Wert mindestens 1,7 Millionen Euro. Und natürlich wanderten sie für für den als „Endgame“ in den Geschichtenschatz der Straße eingegangen Coup in den Knast. Xatar nahm dort ein Album auf, er schmuggelte Dateien mit seinen unter der Bettdecke in ein Diktiergerät gesungenen Raps hinaus, und noch während er brummte, erschien „Nr. 415“ auf seinen eigenen Label. Heute wohnt er als Geschäftsmann, lebende Legende und laut Eigenauskunft Millionär in Köln.

Man kann also verstehen, dass sich Fatih Akin Xatars Autobiografie „Alles oder Nix: Bei uns sagt man, die Welt gehört dir“ als Vorlage zur freien Anverwandlung für seinen neuen Film „Rheingold“ aussuchte. Und es kommt noch etwas dazu, das Akin sehr interessieren dürfte. Xatar kam als Giwar Hajabi in einer Höhle im Norden Irans zur Welt. Seine Eltern hatten sich syrischen Freiheitskämpfern angeschlossen, und der Vorname ihres Sohnes bedeutet übersetzt: „im Leid geboren“. Die Mutter war Musikerin, der Vater war Komponist und Dirigent, beide flohen vor dem Regime der Mullahs und kamen über jahrelange Umwege, über Gefängnisse und Folterlager nach Bonn.

Xatar war fünf, als Deutschland seine Heimat wurde. Seine Mutter putzte, um seine Klavierstunden zu finanzieren, der Vater zog zu einer anderen Frau. Xatar verkaufte Pornos auf VHS und dealte, um Geld zu verdienen. Er wurde verdroschen, dann ließ er sich beibringen, wie man Gewalt gezielter einsetzt als die Gegner und schlug zurück. Er wurde Türsteher in Amsterdam, vertickte Kokain, rappte, gründete ein Label, schrieb sich am Konservatorium in Amsterdam ein, und nach der Sache mit dem Goldraub floh er in den Irak und wurde schließlich ausgeliefert.

Man muss dieses wendungsreiche Leben des Künstlers als junger Verbrecher skizzieren, um nachvollziehbar zu machen, warum Fatih Akin sich so schwer tut, es zu fassen zu bekommen. Die Produktion zerfällt ästhetisch in zwei Teile. Da ist die eindringlich und mit viel Zuneigung erzählte Herkunftsgeschichte, in der Akin nicht vor Darstellungen roher Gewalt zurückschreckt, um dieser Persönlichkeit einen Grund zu geben. Er legt rote Fäden aus, wie jenen mit der Liebe auf den ersten Blick: Der Junge Xatar (Ilyes Raoul) sieht Shirin und ist hin und weg. Und obwohl sie ihn später immer wieder wegstößt, wird er am Ende mit ihr zusammenleben.

Im zweiten Teil, der die Kriminalitätsstory erzählt, die im Grunde auch eine Buddy-Geschichte ist, ändert sich die Tonlage. Diese Passagen wirken temporeicher, humorvoller auch. Allerdings geht es dabei so hastig von Station zu Station, dass beim Nacherzählen der Faktenlage einiges auf der Strecke bleibt. Die Nebenfiguren geraten beim Gleitflug durch die Unterwelt blass und muten wie im Falle des Mannes, der Xatar das Boxen beibringt, wie Geister an. Auch wird nie so recht klar, wann genau Xatar (im weiteren Verlauf von Emilio Sakraya gespielt) sein Rapmusik-Erweckungserlebnis hatte. Das Rappen kommt nur gelegentlich vor, als habe man zwischendurch gedacht, dass müsse nun aber auch noch irgendwo rein. Und: Der Protagonist erreicht nie so recht das Herz des Publikums.

Dadurch geht das verloren, was Fatih Akins Filme so groß machen. Die besondere Zuneigung in der Schilderung von Freundschaftsbeziehungen. Und die magischen kleinen Ideen, die für diese besondere und typische Wärme sorgen. Es gibt sie nur gegen Ende, als Xatar auf den Tisch der Gruppenzelle eine Tastatur zeichnet und tonlos Klavier spielt. Oder wenn die Mitgefangen ihn beim Aufnehmen unterstützen, aber dem selbstvergessenen Rapper dann doch zurufen: Lass mal schlafen, ist schon vier Uhr.

Das ist ein immer populärer werdendes Nebengenre des deutschen Films die Rapper-und-Kriminalitäts-Milieustudie. Eröffnet wurde es 2010 von Uli Edel und Bernd Eichingers sehr schräger Verfilmung des Lebens von Bushido unter dem Titel „Zeiten ändern dich“. Zur Blüte gebracht wurde es von der Serie „4 Blocks“, die so gut ist, dass sie als Maßstab für alles Folgende gelten darf. Außerdem gibt es mehr oder weniger werbliche Dokumentationen wie die über Bushido und Apache 207 sowie mehr oder weniger gelungene Serie wie „Dogs of Berlin“ und „Skyline“.

„Rheingold“ hat nicht den Flow eines guten Rapsongs. Das Widerständige weicht schließlich dem Wunsch nach Versöhnlichkeit. Aber er ist spannend erzählt, und gerade wer die Biografie Xatars nicht so gut kennt, wird ständig wissen wollen, wie es denn nun weitergeht. Der Triumph dieser Erzählung, wenn man so will, ist die Einverleibung eines der deutschesten aller Mythen. Ohne zu viel zu verraten, darf man sagen, dass die Lebensreise Xatars vorläufig in tiefer, von Rheinnixen umspielter Bürgerlichkeit endet.

Zum Finale gibt es jedenfalls keinen Rap. Sondern Wagner.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort