Amsterdam Rembrandt will es noch einmal wissen

Amsterdam · In einer überwältigenden Ausstellung zeigt das Amsterdamer Rijksmuseum den Maler auf dem Höhepunkt seiner Kunst.

Rembrandt hatte die "Nachtwache" bereits gemalt, sein bis heute bekanntestes Bild. Sein Ruhm hatte sich weit über die Niederlande hinaus verbreitet, er schien fast sein eigenes Denkmal geworden zu sein - da riss ihn das Schicksal an den Rand des Abgrunds.

Das Jahr, in dem sich die "Nachtwache" vollendete, war zugleich das Todesjahr von Rembrandts Ehefrau Saskia. Und der gerade einjährige Sohn der beiden, Titus, war jetzt auf den Vater angewiesen. Wie sollte der Künstler nun, da er sich um anderes als Malerei zu kümmern hatte, den Kredit tilgen, den er erst drei Jahre zuvor, 1639, für sein neues Haus aufgenommen hatte? Eine seiner Zeichnungen zeigt ihn beim Füttern des Kindes. Für den Haushalt stellte er Geertje Dircx ein. Sie wurde zugleich seine Geliebte. Als sie 1648 schwer erkrankte, ersetzte der 42-jährige Rembrandt sie durch die erheblich jüngere Hendrickje Stoffels. Geertje verklagte ihn, er musste Unterhaltszahlungen leisten.

Als Hendrickje mit der gemeinsamen Tochter Cornelia schwanger war, rügte sie der Hohe Rat der Amsterdamer Reformierten Kirche wegen Hurerei. Und auch das noch: 1656 musste Rembrandt Bankrott anmelden.

Unter solchen Umständen hätte sich mancher in den Alkohol geflüchtet, vielleicht sogar seinem Leben ein Ende gesetzt. Rembrandt aber blickte voraus und suchte dem Sumpf zu entkommen, in den er geraten war.

Statt einfach in der Art und Weise weiter zu malen, mit der er Ruhm und Geld erlangt hatte, setzte er sich noch einmal den Risiken des Experimentierens aus. Schließlich musste er sich von der erstarkenden Konkurrenz absetzen, wollte er weiter von seiner Kunst leben. Der 1640 gestorbene Peter Paul Rubens hatte der Welt vorgeführt, dass es neben Rembrandt noch andere gibt, die sich auf eine effektvolle Hell-dunkel-Malerei verstanden, und Rubens' Anhänger führten diese Richtung fort.

So besann sich Rembrandt darauf, was ihn von den anderen unterschied: sein ungetrübter Blick auf die Wirklichkeit, der ihn Schönheit auch da entdecken ließ, wo andere ein Objekt als nicht kunstwürdig erachteten.

So kam es, dass "Der späte Rembrandt"- dies ist der Titel der Amsterdamer Schau - zugleich der beste Rembrandt ist: die Essenz eines Künstlerlebens. Rembrandts späte Bilder zeugen von einer unendlichen Liebe zu den Menschen, die er darstellt. Sie spiegeln Ruhe, Reflexion und die Gewissheit, dass ein gütiger Gott seine Geschöpfe aufnimmt, wenn sie dereinst das Irdische hinter sich gelassen haben. Zu den stärksten Werken zählt das aus dem Braunschweiger Herzog-Anton-Ulrich-Museum entliehene "Familienbildnis", entstanden um 1658, also ein Jahr vor Rembrandts Tod: die Darstellung einer innigen Beziehung zwischen den in Fantasiekostümen Porträtierten. Wie sich die Mutter einem der drei Kinder unmittelbar zuwendet und die beiden anderen unter den Augen des hinter ihnen stehenden, sie behütenden Vaters die Familie harmonisch vervollständigen - das wird die Betrachter schon damals angerührt haben.

Drei Jahre zuvor hatte Rembrandt "Die Judenbraut" gemalt - auch dies ein intimes Bildnis, allerdings nicht ohne Pikanterie. Denn Isaak legt hier seiner Braut Rebecca die Hand auf die Brust. Ganz so prüde, wie man es den calvinistischen Niederlanden nachsagt, ist es dort offenbar schon im 17. Jahrhundert nicht zugegangen.

Das malerisch beeindruckendste Bild der Ausstellung ist das zwei mal drei Meter messende Großformat "Die Verschwörung des Claudius Civilis" (um 1661/62): eine raffinierte Komposition, die von einer dem Betrachter nicht sichtbaren Lichtquelle in der Mitte erhellt wird - das größte Gemälde, das der Künstler je schuf. Der Bataverfürst Claudius, der eine Revolte gegen die Römer anführte, steht hier stellvertretend für den siegreichen Aufstand der Niederländer gegen die spanischen Unterdrücker. Die gespenstische Szenerie lebt ganz aus dem Kontrast der geheimnisvoll beleuchteten Gestalten hinter einem langen Tisch und denjenigen, die davor im Halbdunkel kauern.

An der gegenüberliegenden Stirnwand des Ausstellungssaals hängt ein Bild, das von Rembrandts Mut zu rücksichtsloser Motivwahl zeugt: "Anatomische Vorlesung des Dr. Deyman" von 1656. Das erhaltene Fragment eines ursprünglich 2,50 mal drei Meter großen Gemäldes zeigt nur den Oberkörper und die Hände des Dr. Deyman bei der Sektion eines blutigen Gehirns. Die Beine des Leichnams ragen in kühner perspektivischer Verkürzung aus dem Bildraum in den Raum des Betrachters. Schön anzuschauen ist das alles nicht, doch es prägt sich dem Gedächtnis ein.

So schreitet man von einem Saal zum nächsten - vorbei an mehr als 100 Gemälden, Zeichnungen und druckgraphischen Blättern etwa aus dem Louvre oder dem Minneapolis Institute of Art und vor allem aus dem Rijksmuseum selbst; vorbei an Rembrandts einzigem Reiterporträt, an Bildern, in denen er ungewöhnliche Techniken anwandte, und an solchen, die ihn als Alternden zeigen.

Worüber er lacht in seinem "Selbstbildnis als Zeuxis" aus dem Kölner Wallraf-Richartz-Museum, darüber streiten bis heute die Gelehrten. Rembrandt hatte, bevor der Herbst seines Lebens begann, stets darauf geachtet, dass er sich würdig ins Bild setzte. Im Spätwerk dagegen erzählen seine Gesichter zusehends von den Gebrechen des Alters. Im Zeuxisbild könnte sich sogar Ironie spiegeln: die Selbstreflexion eines Malers, der wenige Jahre vor seinem Tod versucht, das Bewusstsein seiner eigenen Überheblichkeit und Sterblichkeit schlicht wegzulachen.

(RP)
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