Refik Anadol im Kunstpalast Eine Datenskulptur aus zwei Millionen Bildern zum Versinken

Im Kunstpalast eröffnet sich gerade eine neue Welt der digitalen Malerei. Künstliche Intelligenz hat bei dem in Los Angeles lebenden Refik Anadol „den Pinsel geführt“. Doch Fotostar Thomas Ruff macht längst Bilder mit Daten aus dem Weltraumteleskop.

 Refik Anadol: Machinen-Halluzinationen – Satelliten-Simulationen: B“. © Refik Anadol Studio / Courtesy Art Collection Telekom

Refik Anadol: Machinen-Halluzinationen – Satelliten-Simulationen: B“. © Refik Anadol Studio / Courtesy Art Collection Telekom

Foto: Kunstpalast/Anne Orthen

Dieser Künstler hat einen besonderen Steckbrief. Seine Reputation: weltweit hoch. Sein Alter: Jahrgang 1985. Seine Methode: Malen mit künstlicher Intelligenz (KI). Sein Atelier: Zwölf gigantische Rechner und ein Heer von Assistenten.

Refik Anadol ist ein in Los Angeles lebender gebürtiger Türke, studierter Fotograf und Designer, ein Datenkünstler, der gerade die Kunstwelt anstößt, vielleicht durcheinanderbringt, auf jeden Fall spaltet und dabei extrem erfolgreich ist. Nach Ausstellungen in Davos (Weltwirtschaftsforum), Los Angeles (Grammy-Verleihung) und New York (Museum Of Modern Art) ist zwar nicht der Künstler, aber sein Werk in den ehrwürdigen Kunstpalast eingedrungen, den der Generaldirektor gegenüber Zeitgeist-Projekten niemals verschließt. Im Gegenteil bietet Felix Krämer sein Haus an, in diesem Fall den ersten Stock des baustellenverhüllten Ungers-Baus, auch zu diskussionswürdigen Kunstbeiträgen. Und freut sich, nach legendären Orten die vierte Station zu sein.

Man kann darüber streiten, ob Anadols Bilder in ein Kunstmuseum gehören, wo traditionell menschliche Kreativität und das Genie gefeiert werden. Und doch steht man staunend vor einem acht Meter hohen farbgewaltigen Bildschirm. Tausende Farben drücken sich wie aus Öffnungen von Zahnpastatuben heraus, verwinden sich ineinander, ohne zu verschmieren. Bilden Knospenmuster und psychedelische Kreise, können Assoziationen zu Erde und Weltall freisetzen. Die große Bildwand betört wegen ihrer Farbkraft, bleibt letztlich aber abstrakt und befremdlich. „Machine Hallucinations“ heißt das Hauptwerk mit 16-Minuten-Loop, eine aus zwei Millionen Einzelbildern hergestellte Datenskulptur, auf die sich die betrachtenden Menschen immersiv einlassen sollen. Immersion – also Versenkung – lautet das Zauberwort, das der Künstler einfordert, auf dass die Betrachter eintauchen in sein Werk. Vielleicht gelingt das tatsächlich mithilfe der im Bildungsprogramm angebotenen Yogastunden vor der Halluzinationsmaschine.

Der Künstler spricht von den Daten als seinem Material des Lebens. Dass Anadols Werk alleine wegen der Aktualität der Methode Güte und Perfektion ausstrahlt, ist unbestritten. Wir leben in einer Zeit des autonomen Autofahrens, lassen Risotto in vollautomatisierten Kochgeräten rühren und wachen über die Kreativität des Dichtens und Komponierens durch KI. Besorgt oder auch beruhigt schauen wir zu, wie kleine Kinder Dialoge mit „Alexa“ führen und der zuhause agierenden elektronischen Sprachassistentin von Amazon Geheimnisse anvertrauen. Wir wissen längst, dass Künstliche Intelligenz schon viel umfassender in unser Leben eingreift, als wir es vielleicht wahrhaben wollen.

Jetzt also die Kunst. Doch ist das gar nicht ganz neu, was wir auf den sich dauerbewegenden XXL-Bildern sehen. „Datenskulpturen“ nennt sie Kurator Alain Bieber, fast ein zu freudloser Begriff, wenn er technisch auch zutrifft. Wie in einem Kaleidoskop, das schon die alten Griechen kannten, verschwimmt und verändert sich alles in diesen Bildern im ruhigen Rhythmus. Elektronische Klänge gehören zu der Farbmatsche wie Ketchup auf die Pommes Frites.

Dass Anadol Hauptvertreter oder sogar Pionier der Kunst mit künstlicher Intelligenz sei, lässt sich gerade in Düsseldorf schnell relativieren. Schon seit Jahrzehnten arbeitet insbesondere Thomas Ruff mit solchen Daten, um Fotos zu generieren, die am Ende Bilder sind. Der berühmte Fotokünstler aus der Düsseldorfer Becher-Dynastie hat genau wie der junge Istanbuler Daten von Weltraumteleskopen gesammelt und diese am PC verarbeitet zu einer Zeit, in der KI noch nicht kein Thema war. Freilich sind seine Bilder nicht animiert wie die von Anadol, dafür hat Ruff sie mit seinem menschlichen Auge und künstlerischem Kalkül ausgestaltet. Die von Technikfaszination getragene Grundlage ist bei beiden ähnlich.

Technikfreaks können sich die neuartige Kommunikation von Algorithmen in einem aufschlussreichen TED-Talk-Video vom Künstler erklären lassen. Insbesondere das System, das GAN genannt wird und Daten generiert, indem zwei künstliche neuronale Netzwerke miteinander konkurrieren und voneinander lernen.

Diese Ausstellung mit nur drei Werken bringt hunderte Millionen eingesammelte Bilder zusammen. Mehr als das Museum je in seiner Sammlung auflisten wird. So geht sie, die neue Erzählung der digitalisierten Welt.

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