Philipp Schaus „Feiern ist ein politischer Akt“

Interview | Düsseldorf · Dramaturg Philipp Schaus huldigt der Clubkultur der 1990er Jahre. Seine Reihe „Raving Choreographies“ ist ab Februar im Tanzhaus NRW zu sehen.

 Philipp Schaus im Tanzhaus.

Philipp Schaus im Tanzhaus.

Foto: Bretz, Andreas (abr)

Berliner Techno-Partys haben das Tanzverständnis von Philipp Schaus geprägt. Als Student tanzte er im Berghain, als Dramaturg arrangiert er jetzt ein Festival, das das Tanzhaus NRW in einen Sehnsuchtsort verwandelt. Die Freude am Feiern hält er für einen politischen Akt.

Herr Schaus, was hat Nietzsche mit Techno zu tun? In der Ankündigung Ihrer neuen Reihe erwähnen Sie eine Verbindung.

Philipp Schaus Die Schnittmenge ist das Nachdenken über rauschhafte Zustände. Darüber, den Körper in einen anderen Zustand zu bringen und sich auf den Weg zu machen nach neuen Erfahrungen und Möglichkeiten, sich mit der Welt zu verbinden.

Das Dionysische gewinnt in der postpandemischen Zeit besondere Relevanz. Heben wir gerade einen Energiestau auf?

Schaus Wir leben in einer Welt der Beschleunigung. Corona hat diese Beschleunigung auf eine bestimmte Art unterbrochen. In der Techno-Musik und im Techno-Tanz drückt sich der Wunsch aus, ein mit allen gemeinsames Tempo zu finden. Ich habe zum Beispiel den Eindruck, nach Corona ist es einfacher geworden zuzugeben, dass man erschöpft ist. Zugleich suchen die Menschen gerade auf körperlicher Ebene Verausgabung im Kollektiv und möchten den eigenen Raum verlassen. Tanz vermag das zu ermöglichen.

Also ein Revival der 1990er Jahre als Therapie?

Schaus Techno war nie weg, kommt jetzt aber deutlicher wieder. Mein TikTok-Feed spielt mir ständig Clubdance-Tutorials rein. Durch die Sozialen Medien können die Faszination für Musik und die damit verbundenen Tanzformen ganz anders zirkulieren.

Techno oder House verbreiten die Botschaft: Der Tänzer ist in dir. Greift das Festival den Gedanken auf?

Schaus Ich glaube, dass „Raving Choreographies“ das richtige Programm ist, um herauszufinden, wie Beats, Atmosphäre, individuelles und kollektives Körpererlebnis miteinander verbunden sind. In einem Techno-Club, wo die Musik scheinbar die wichtigste Rolle spielt, ist es tricky, die Tanzfläche zu eröffnen. Zum Tanzen gehört hier also offenbar auch, dass es in Gemeinschaft geschieht. Dieser Zusammenhang interessiert uns. Das Programm haben wir bewusst vielfältig gestaltet und laden Groß und Klein dazu ein, die Beziehungen zwischen Technomusik und Körperbewegung zu erleben.

Wo liegt die Herausforderung für den Tanz als Kunstform?

Schaus Es geht hier nicht so sehr um Herausforderungen als vielmehr um ein interessantes Feld der Auseinandersetzung. Wenn ich in einem Club tanze, nehme ich die anderen Menschen wahr, blicke auf Arme und Beine, erlebe Wellenbewegungen. Mein Körper produziert unentwegt Bewegungen, die ich improvisiere. Tanzschaffende wiederum interessiert, wie es gelingen kann, dieser improvisierten Bewegung in einer Choreographie Kontur zu verleihen.

Das Eröffnungsstück „16 Bit“ stammt von Paula Rosolen, die Techno als Kunstform und soziales Phänomen behandelt. Was erwartet das Publikum?

Schaus Die Company Haptic Hide, die Paula Rosolen gegründet hat, gewährt einen Einblick in die Geschichte des Techno von den 1980er bis zu den 1990er Jahren. Dies geschieht durch Musik und Tanz, aber auch mittels „oral history“, wenn etwa Interviewschnipsel von Zeitzeugen eingespielt werden. Paula Rosolen nimmt sich der gesamten Bandbreite des Themas an. Im Gegensatz dazu gibt die Choreographie „Reaching“ von Michele Rizzo dem Publikum ein Gefühl für rauschhafte Zustände, indem er die Dynamik von Verlangsamung und Beschleunigung auslotet. Man weiß nicht recht, ob man sich in einem Techno-Club befindet oder aber bloß Erinnerungen an Momente aufsteigen, die man dort zugebracht hat.

Gerade in seiner frühen Phase hatte Techno eine hohe politische, beinahe rebellische Relevanz. Spielt das bei „Raving Choreographies“ eine Rolle?

Schaus Die Freude am Feiern ist doch an sich schon ein politischer Akt. Das gilt auch für die mit Rave-Erfahrungen einhergehende Missachtung von gültigen Zeitregimen. Wer die ganze Nacht durchtanzt, kann am anderen Tag womöglich nichts produzieren. Es hat durchaus eine rebellische Dimension, sich der Erschöpfung hinzugeben. Auch das Stück „Shadowboxing“ von Frédéric Gies stiftet Unruhe, weil es radikal die Grenzen zwischen Zuschauen und Mittanzen aufhebt.

Das Set zu Gies‘ Stück spielt Michael „Fiedler“ Fiedel, Resident-DJ im Berghain in Berlin, dem bekanntesten Techno-Club der Welt. DJs gelten inzwischen als Künstler, Clubs hingegen nicht als Kulturorte. Warum?

Schaus In meinen Augen sind Clubs Kultur. Die Musik ist ein Grund. Aber auch allein dadurch, dass dort Tanz, also eine Kulturfertigkeit, praktiziert wird.

Techno stürzt sich auf die Sinne. Neben der Musik ist das Licht entscheidend. Genügt die Ausstattung des Tanzhauses den Anforderungen?

Schaus Wir haben für zusätzliches Licht gesorgt. Vor allem aber für zusätzlichen Sound, um den Technikwünschen der Künstler und Künstlerinnen zu genügen und damit die Beats gut rüberkommen.

Wird das Tanzhaus im Februar ein Sehnsuchtsort für Hedonismus?

Schaus Unsere Reihe bietet auf jeden Fall die Möglichkeit, an Erfahrungen anzuknüpfen, die Techno-Fans in Clubs oder an anderen Orten gemacht haben.

Sie haben in Berlin studiert und gearbeitet. Wo wurden Sie als Dramaturg sozialisiert? Im Berghain?

Schaus Ich habe im Berghain intensive Tanzerfahrungen gemacht. Der Clubtanz hat auf jeden Fall meinen Blick auf Tanz und mein Verständnis von Tanz als kulturelle Praxis und Kunstform geprägt.

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