Generalintendant Wilfried Schulz zum Theaterskandal „Unsere Chance zum Aufbruch“

Exklusiv | Düsseldorf · In seinem Gastbeitrag beschreibt Generalintendant Wilfried Schulz, wie rassistische Vorfälle am Düsseldorfer Schauspielhaus mit externer Hilfe aufgeklärt werden sollen und wie das auch das Theater verändern wird.

 Intendant Wilfried Schulz vor dem Düsseldorfer Schauspielhaus.

Intendant Wilfried Schulz vor dem Düsseldorfer Schauspielhaus.

Foto: Monika Skolimowska / dpa, Montage/Monika Skolimowska / dpa, Montage: Krebs

In den vergangenen zwei Wochen hat sich bundesweit eine hitzige Theaterdebatte entfacht, über die auch die Rheinische Post mehrfach und zuletzt vor wenigen Tagen ausführlich berichtet hat. Ihren Ausgang hat diese in den Vorwürfen unseres Ensemblemitglieds Ron Iyamu gegen das Düsseldorfer Schauspielhaus genommen. Er hat rassistische Vorfälle öffentlich gemacht und so auch auf strukturelle Probleme und Versäumnisse im Theater hingewiesen.

In der öffentlichen Debatte haben sich die konkreten Vorwürfe schnell mit der bereits seit Längerem schwelenden Struktur- und Leitungsdiskussion in der Theaterlandschaft verbunden. Gleichzeitig haben weitere Künstlerinnen und Künstler aus dem Umfeld des Hauses reagiert und ihrerseits politische Forderungen nach einer eigenen Bühne für Schwarze und People of Colour in den Raum gestellt. Doch hinter diesen scheinbar so theaterspezifischen Themen verbirgt sich die gesamtgesellschaftliche Debatte über Institutionen und die Frage, wie sie zukünftig diverser und in ihren Arbeitsstrukturen durchlässiger werden können. Die Positionen hierzu sind kontrovers und nicht selten polarisiert.

Eine Konfliktlinie hat sich aufgetan, die auch durch das Düsseldorfer Schauspielhaus mit seinem Ensemble und Mitarbeitenden verläuft. Aus der tiefen persönlichen Betroffenheit vieler Beteiligter über die Vorfälle mit Ron Iyamu haben sich intensive Diskussionen und auch Auseinandersetzungen über die notwendigen Konsequenzen ergeben und darüber, wie so etwas zukünftig vermieden werden kann. Vollkommen unstrittig ist die drängende Notwendigkeit, alle bekannt gewordenen Vorfälle aufzuarbeiten und dafür externe Unterstützung zu suchen. An diesem Punkt soll ein unbefangener Blick von außen helfen, der die Situation klärt und bewertet. Sowohl für diesen kurzfristigen Prozess der Aufarbeitung als auch für zukünftige Anlaufstellen und Hilfsangebote gibt es zwischenzeitlich mehrere externe Partnerinnen und Partner, die in einem transparenten Prozess benannt werden. Betriebsrat und Aufsichtsgremien des Schauspielhauses sind daran beteiligt.

Weitere Partnerinnen und Partner sind gefragt, wenn es um die Umsetzung einer neuen Betriebsvereinbarung im Schauspielhaus geht, die den Umgang mit rassistischen- und diskriminierenden Vorfällen regelt. Aus der Abteilung Diversity heraus, die es im Düsseldorfer Schauspielhaus seit Sommer 2019 gibt, ist hierfür ein Entwurf entstanden, der noch bis Ende Juni dieses Jahres mit den Mitarbeitenden des Theaters diskutiert und verabschiedet wird. Dieser Verhaltenskodex wird zukünftig gleichermaßen für alle festen und freien Mitarbeitenden des Schauspielhauses gelten und regelt, wer im Fall rassistischer und diskriminierender Vorfälle Hilfe leisten kann und welche Konsequenzen entstehen.

Eine wichtige Rolle wird dabei zukünftig die Weiterbildung für alle Mitarbeitenden des Hauses spielen. Gemeinsam mit der Diversity-Trainerin Michelle Bray wird es Workshops zu Anti-Rassismus, diskriminierungskritischer Diversity, über Stereotypen und Vorurteile oder für Empowerment geben. Im Schauspielhaus mit seinen rund 500 Festangestellten und Gastengagierten aus sehr unterschiedlichen fachlichen Bereichen, von der Schuhmacherin bis zum Dramaturgen, vom Bühnentechniker bis zur Schauspielerin. Sie alle bringen sehr verschiedene Voraussetzungen und Perspektiven in den anstehenden Prozess mit ein. Dabei geht es unter anderem darum, Stereotype und Handlungsmuster zu erkennen, die sich verändern lassen, indem Mechanismen und Privilegien bewusster werden. Das ist ein Weg des Lernens, ein langer Weg.

Diversitätsentwicklung ist ein langwieriger und komplexer Prozess, nicht selten zum Leidwesen der Diversitäts-Agentinnen und Agenten an den Kulturinstitutionen, die in ihrer Arbeit für ein diskriminierungsarmes Umfeld oft auch an strukturelle Grenzen kommen. Im Rahmen des Förderprogrammes „360 Grad“ der Kulturstiftung des Bundes beschäftigt sich der Diversitäts-Agent Guy Dermosessian mit solchen strukturellen Fragen im Düsseldorfer Schauspielhaus. Im Theater haben sie oft auch mit künstlerischen Aspekten zu tun, wenn es beispielsweise darum geht, Ensembles nach und nach diverser zusammenzusetzen, Rollen sensibler zu besetzen oder Texte aus dem literarischen Kanon auf inhaltliche Implikationen zu hinterfragen, um nur wenige Beispiele zu nennen. Es wird im Düsseldorfer Schauspielhaus deshalb nicht nur darum gehen, mehr Wahrnehmung und Sensibilität gegenüber diskriminierendem Verhalten zu entwickeln. Sondern auch darum, wie sich die komplexen Arbeits- und Kommunikationsstrukturen des Theaters so verändern lassen, dass für alle Mitarbeitenden gleichermaßen ein faires und freudvolles Miteinander für die Kunst entsteht.

In seinem Programm arbeitet das Düsseldorfer Schauspielhaus seit geraumer Zeit daran, sich mit vielfältigen künstlerischen Formaten, partizipativen Ansätzen und mal diskursiven, mal spielerischen Elementen mit möglichst vielen unterschiedlichen Menschen zu verbinden. Darauf basiert das Programm des „Café Eden“ ebenso wie die Veranstaltungsreihe „Embracing Realities“, Vermittlungsprojekte der Theaterpädagogik und des Jungen Schauspiels, vor allem aber die gesamte Arbeit der Bürgerbühne. Wir sind überzeugt davon, dass nur Dialog und Austausch es uns ermöglichen, mehr voneinander zu lernen und miteinander die großen gesellschaftlichen Herausforderungen der Zukunft zu bewältigen. Im Theater werden weiterhin die künstlerische Eigenart und das Recht auf Subjektivität und Differenz in der Kunst ihren zentralen Platz haben, aber es wird genauer ausgehandelt werden, welche Stimmen und Geschichten zu hören sind und wo Grenzen auch nicht überschritten werden dürfen.

In der nächsten Zeit werden wir uns selbst beweisen müssen, dass Dialog und Austausch es möglich machen, den notwendigen Wandel auch intern und in unseren Arbeitsweisen voran zu treiben.

Wir sind Experten für Theaterdonner auf der Bühne. Manchmal kracht es auch hinter den Kulissen. In diesen Auseinandersetzungen liegt eine gute Chance zum Aufbruch. Unsere Sehnsucht nach dem Theater ist nach der langen Zwangspause der vergangenen Monate groß. Jetzt werden wir alles daransetzen, dass wir mit der ganzen künstlerischen Kraft des Hauses unser Publikum, die Stadt und die ganze Gesellschaft in ihrer Vielfalt wieder erreichen. Darauf freuen wir uns!

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