Putins Weltanschauung

Ein Philosophie-Journalist analysiert, was den russischen Präsidenten antreibt.

Über Putin wird viel geschrieben, auch in zahlreichen Büchern. Michel Eltchaninoff, Chefredakteur des französischen "Philosophie Magazins", sucht nach den weltanschaulichen Bezügen seines Denkens, die er vor allem aus seinen Reden belegt. Er ist für diese Suche ausgewiesen, er hat über Dostojewski promoviert. Denn der russische Schriftsteller gehört zu den Denkern, auf die sich Putin bezieht. Eltchaninoff zeigt, dass dies der Weite Dostojewskis entspricht. "Er ist Nationalist, Panslawist und intolerant gegenüber anderen Konfessionen und Religionen, zugleich ist er Universalist und aus tiefster Überzeugung Europäer."

Mit diesem Blick lässt Eltchaninoff seine prognostischen Urteile über Putin etwas offen. Er konstatiert zwei weitanschauliche Tendenzen: die Idee des Imperiums und die Apologie des Krieges, aber er sagt: "In Wahrheit weiß niemand, wie Putin sein Imperium entwickeln wird, und niemand weiß, wo, wann und wie er dabei vorgeht. Je nach dem, was die Situation verlangt, wird er taktisch handeln, sich mehr auf diese, mehr auf jenen Idee stützen. Doch das Imperium und der Krieg werden gewiss weiter die Grundlagen seines Handelns sein."

An dieser Stelle ist es erforderlich, Putin globalpolitisch zu relativieren. Der scheidende US-amerikanische Präsident Obama hat den Satz geprägt: "Nur weil wir den besten Hammer haben, ist nicht jedes Problem ein Nagel." Die imperiale Vorstellung, von der er sich damit distanziert, könnte der Putins entsprechen. Das verweist auf universalistische Allgemeinheiten, die in geopolitischen Auseinandersetzungen gebraucht werden können. Für Putins Handeln zeigt Eltchaninoff, dass es von der Politik der USA gegenüber Russland seit der Kosovo-Krise 1999 beeinflusst ist. 16 Jahre später ist die russische Beteiligung am Krieg in Syrien eine Antwort. Dazwischen liegt die Entwicklung Putins. Sein Handeln und seine Doktrin geht vom sowjetischen Erbe über einen nur vorgetäuschten Liberalismus zu einer konservativen Vision, bestehend aus einer Theorie des Russischen Wegs und einem eurasisch-imperialen Traum.

Putin hat "ein Projekt für Europa und für die Welt" mit zwei Teilen. Der erste nennt sich "Russische Welt", der zweite zielt darauf ab, "die Führung der konservativen Bewegung in Europa zu übernehmen". Der erste konkretisiert sich im Schutz russischer Menschen außerhalb Russlands, kriegerisch in der Ukraine, der andere im Kampf gegen Homosexualität, Atheismus, Kosmopolitismus, Internet, künstlerische Expressionen, die Unordnung signalisieren.

Eltchaninoff erklärt vieles an der Politik Putins, was Freiheitsdenken zuwider sein muss. Dennoch sollte das nicht zu fehlender Reflexion über die Politik Westeuropas gegenüber Russland herangezogen werden. Schon der deutsche Untertitel des Buches "Die Philosophie eines lupenreinen Demokraten" wird durch den Inhalt nicht gedeckt. Man muss verurteilen und sanktionieren, wenn Putin den Abschuss eines niederländischen Passagierflugzeugs über der Ukraine nicht aufzuklären bereit ist. Aber auch der Einsicht Gerhard Schröders muss gefolgt werden, dass es ohne eine Zusammenarbeit mit Russland keine Sicherheit und Stabilität in Europa geben wird. Für Zusammenarbeit und für menschenrechtlich fundierte Kritik liefert das Buch differenzierte Argumente.

(RP)
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