Ein Frage des Stils Pünktlichkeit - die Höflichkeit der Könige

Auf jemanden warten zu müssen, der zu spät zur Verabredung kommt, nervt. Pünktlichkeit ist eines der wichtigsten Merkmale für Stil.

Alle warten. Weil einer noch fehlt. Mal wieder. Typisch. Die einen ärgern sich, die anderen zucken mit den Schultern. So isser halt. Sind ja erst zehn Minuten.

Es ist immer wieder interessant zu beobachten, wie unterschiedlich Menschen auf Unpünktlichkeit reagieren. Der Toleranzspanne ist immens: Zwischen "Unverschämtheit" und "Sei nicht so pedantisch" schwingt das Pendel der inneren Gefühle, die ausgelöst werden, wenn jemand nicht zum verabredeten Zeitpunkt erscheint. Wer sein persönliches Motto passend zum Thema sucht, wird in jeder Hinsicht fündig: "Bester Beweis einer guten Erziehung ist die Pünktlichkeit", fand der tüchtige Gotthold Ephraim Lessing. "Pünktlichkeit stiehlt uns die beste Zeit", hielt sein irischer Dichterkollege Oscar Wilde dagegen.

Was stimmt denn nun? Pünktlichkeit ist ohne Zweifel eine Frage des Respekts und damit eindeutig ein Merkmal guten Stils. Man muss sich bloß vor Augen führen, was wäre, wenn man den Chef warten ließe. Geht gar nicht. Warum dieselbe Disziplin als Ausdruck von Wertschätzung also nicht bei jedem anderen walten lassen?

Die Mehrheit der Deutschen hält eine Verspätung von fünf Minuten für noch akzeptabel. Denn wer unpünktlich ist, sendet gleich mehrere Signale aus: Überheblichkeit, Desinteresse, chaotisches Selbstmanagement. Wobei man einen ausgewachsenen Schussel unter Umständen noch seine notorische Bummelei verzeiht. Anders verhält es sich, wenn Zuspätkommen zur Macht- und Dominanzstrategie gehört. Solche Zeitgenossen sind nicht etwa besonders wichtig, sondern besonders ätzend. Mag sein, dass manche das Diktat der Pünktlichkeit als Verlust von Autonomie empfingen. Einer souveränen Persönlichkeit indes käme ein solcher Gedanke nicht in den Sinn. Pünktlichkeit- so heißt es nicht umsonst im Volksmund - ist die Höflichkeit der Könige.

Ein notorischer Zuspätkommer sollte durchaus zu spüren bekommen, dass er eine wichtige Regel verletzt. Also: Schon mal ohne ihn mit dem Essen anfangen, den Platz im Kino einnehmen, pünktlich mit denen losfahren, die da sind. Auch die Vereinbarung von Strafen kann das eine oder andere Wunder bewirken.

(RP)
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