Interview Bernhard Emunds „In unserer Gesellschaft bleibt wenig Zeit für die Sorge um alte Menschen“

Mönchengladbach · Immer mehr Familien sind mit der Pflege ihrer Angehörigen überfordert. Der Theologe und Ökonom Bernhard Emunds untersucht die Gründe.

 Bernhard Emunds, Professor für Christliche Sozialethik in Sankt Georgen bei Frankfurt.

Bernhard Emunds, Professor für Christliche Sozialethik in Sankt Georgen bei Frankfurt.

Foto: Westend/ Bernhard Emunds/Privat

(dok) Bernhard Emunds, 1962 in Aachen geboren, beschäftigt sich mit der Ethik der Erwerbsarbeit, insbesondere beim Thema Pflege. So hat er etwa im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz eine Studie über Sorgearbeit in Privathaushalten verfasst. Emunds ist Professor für Christliche Gesellschaftsethik an der Hochschule Sankt Georgen bei Frankfurt, die vom Jesuitenorden getragen wird, und leitet das Oswald von Nell-Breuning-Institut. Am 11. Oktober, 19 Uhr, spricht er in der Citykirche Alter Markt in Mönchengladbach.

Warum empfinden immer mehr Menschen die Pflege eines Angehörigen als unzumutbare Aufgabe?

Emunds Das ist nicht böser Wille der Angehörigen, sondern liegt an unseren sozialen Strukturen. Wir leben in einer Gesellschaft, in der sich alles um Erwerbsarbeit und Beruf dreht. Um beim Lebensstandard nicht abgehängt zu werden, sind in Familien häufig beide Partner erwerbstätig. Da bleibt wenig Zeit für Sorgearbeit. Zudem dauert heute die Phase der Pflege im Durchschnitt sehr viel länger als noch vor dreißig Jahren. Die Belastung ist entsprechend viel höher.

Was müsste politisch geschehen, damit Familien vom Pflegefall nicht komplett überfordert werden?

Emunds Familien mit Pflegeverantwortung werden entlastet, wenn sie in ein gutes Netzwerk unterstützender Dienstleistungen eingebunden sind, wenn es zum Beispiel zu guten Bedingungen Tagespflege gibt und Hilfe bei der Hauswirtschaft. Zudem müssen die Alternativen zur häuslichen Pflege verbessert werden; denn heute halten die Familien die Pflege zuhause viel zu lange aufrecht. Am Ende sind die Angehörigen, die die Hauptlast der Pflege tragen, völlig ausgebrannt. Das wird erst dann besser, wenn Pflegeheime keine Schreckgespenster mehr sind und wir flächendeckend genügend gute Pflege-Wohn-Gruppen haben.

Schwarzarbeit in der Pflege ist derzeit Teil des Systems, mit welchen ersten Schritten wäre dem zu begegnen?

Emunds Das Problem der sogenannten 24-Stunden-Pflege ist nicht nur die Schwarzarbeit. Wenn Agenturen diese Form der Pflege organisieren, haben wir es zumeist mit Scheinselbständigkeit zu tun. Das ist auch nicht besser! Das zentrale Problem ist die Arbeitszeit. Die Betreuungskräfte aus Mittel- und Osteuropa haben häufig keinen freien Tag. Rund um die Uhr müssen viele arbeiten oder zumindest in Bereitschaft sein. Ihr Menschenrecht auf Freizeit wird also mit Füßen getreten. Eine faire Form dieser Pflege bieten kirchliche Wohlfahrtsverbände mit Carifair mit Zentrale in Paderborn und Faircare mit Zentrale in Stuttgart an – auch im Rheinland kann man diese Angebote nutzen.

Wie haben Sie für Ihr eigens Altwerden vorgesorgt?

Emunds Meine Frau und ich haben mit unseren Söhnen darüber gesprochen, dass wir nicht wollen, dass sie oder ihre Partner sich später für uns aufreiben. Aber insgesamt ist für mich persönlich das Thema „gefühlt“ noch in weiter Ferne. Trotz meiner professionellen Beschäftigung mit Pflege geht es mir da auch nicht anders als vielen meiner Altersgenossen.

Buch Emunds hat ein Buch zum Thema geschrieben: „Damit es Oma gut geht“, Westend, 224 S., 17,50 Euro

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