Portugiesischer Weltschmerz

António Lobo Antunes' Roman "Ich gehe wie ein Haus in Flammen"

Wenn das Rätselraten um die Literaturnobelpreiskandidaten in die heiße Phase geht, wird seit 15 Jahren sein Name stets ganz hoch gehandelt: der 74-jährige portugiesische Schriftsteller António Lobo Antunes. Der frühere Chefarzt einer psychiatrischen Klinik in Lissabon hat nun seinen 25. Roman vorgelegt; der liest sich wie eine Summe seines bisherigen Werks.

Wieder steht das Portugal der kleinen Leute, deren existenzielle Sorgen und die unaufgearbeitete Zeit der Salazar-Diktatur im Zentrum. Daraus entsteht eine emotionale Melange aus Hoffnungslosigkeit und Melancholie. Schon 1998 ließ Lobo Antunes in "Portugals strahlende Größe" eine Figur befinden: "Es ist unmöglich, zu zweit unglücklich zu sein, denn Unglücklichsein ist etwas Einsames."

Relativ einsam und ziemlich unglücklich sind auch sämtliche Bewohner eines Lissaboner Mietshauses mit acht Parteien, das im neuen Roman als Spiegelbild für die portugiesische Mittelschicht fungiert. Der soziale Abstieg und die handfesten Probleme des Älterwerdens prägen den Alltag der Hausbewohner. Sie kämpfen fortwährend gegen Verluste (materieller Natur und wachsender Vereinsamung); und damit einher geht eine ständige Auseinandersetzung mit der Vergangenheit: Erinnerungen an die Kindheit, an Lieblings-Stofftiere, die Hochzeitsnacht, die schlimme Zeit unter Diktator Salazar.

Es ist eine sozial heterogene Gruppe, die das Mietshaus bevölkert: da ist der Senior Joaquim, der kürzlich seine asthmakranke Frau verloren hat, eine neunundfünfzigjährige, mannstolle Richterin, die bereits in Pension ist und sich durch ihren eigenen Geruch nach "alter Frau" angewidert fühlt, die Geschwister aus der Ukraine, die für ein Ehepaar gehalten werden, eine Schauspielerin, eine Finanzbeamtin, der ehemalige Offizier Augusto, der sich der Mulattin Sofia Rosa erinnert, die er vor 40 Jahren in Luanda verlassen hat, obwohl sie schwanger war, der verwitwete greise Rechtsanwalt, ein von den Salazar-Schergen gefolterter, traumatisierter Kommunist und ein Trinker, der offensichtlich allen Bewohnern aus der Seele spricht: "Wir gehen alle wie Häuser in Flammen, das Schädeldach brennt."

Lobo Antunes' Polyphonie ist manchmal schwierig nachzuvollziehen, bisweilen stellt sich die Frage: Wer erzählt eigentlich momentan? Und so ist sein neuer Roman nicht sein kompositorisch gelungenster. Doch ist es die typische Prosa aus der Seele Portugals. Fado und Saudade (dt:. Weltschmerz) zwischen zwei Buchdeckeln. Tief traurig, emotional authentisch.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort