Düsseldorf Politische "Aida" zwischen Palmen und Särgen

Düsseldorf · Philipp Himmelmann inszeniert Verdis Meisterwerk am Düsseldorfer Haus der Deutschen Oper am Rhein.

Nettes Missverständnis unter Eheleuten: "Inge, ich habe heute zwei Plätze für die ,Aida' gebucht!" - "Toll, Karl-Heinz, ich wollte schon immer eine Kreuzfahrt machen! Wohin geht's?"

Tatsächlich führt die Reise nur scheinbar ins ägyptische Alexandria, wo alle aussteigen und über den Nil ins Landesinnere vorzudringen glauben. In Wirklichkeit hat Regisseur Philipp Himmelmann für seine Neuinszenierung von Verdis "Aida" Kurs zurück auf Italien nehmen lassen. Statt bei den Pharaonen landen wir in einem römischen Palast des 19. Jahrhunderts, also in der Entstehungszeit der Oper. Da wandeln Könige und Kardinäle durch Säle voll von Palmen, gediegenen Sitzgruppen, Perserteppichen und Konzertflügeln; eine Sklavin wie Aida trägt weiße Schürze.

Diese Buchungsänderung hätte dem politisch desillusionierten Verdi womöglich gefallen, weil er mit Staat und Kirche längst nichts mehr am Hut hatte. Historisch sind solche Transferleistungen bei "Aida", wenn sie auf der Bühne allzu konkret ausfallen, leider falsch: In Italien zu jener Zeit war der Kirchenstaat kondensiert, entmachtet unter dem Zugriff fremder Interessen - da hätte ein Ramfis allenfalls Gewalt über ein Weihrauchfässchen, doch nicht über militärische Gerichtsbarkeit.

Die Regie besticht, wenn sie - sozusagen ohne auf die Kulisse zu schauen - persönliche Konflikte zwischen Liebe, Hass, Verzweiflung arrangiert. Die hochgemute politische Dimension der "Aida" - nämlich ihre Verhöhnung einer Staats- und Religions-Dekadenz mit Aufmärschen und Prozessionsorgien -misslingt dagegen. Die Verwandlung der Bühne zur Beerdigungshalle, in welcher eine Priesterin lüsterne Gymnastik probt, ist stimmungslos und unscharf; und die Nutzung von Särgen als Allzweckmöbel (als Turnerbank, Sitzgelegenheit, Liebeslager) ist nicht einmal frivol, sondern nur langweiliger Unfug.

Der Schluss ist allerdings ein Geniestreich der Regie: Radamès und Aida hocken in ihrer Gruft, auf die sich - wie bei Edgar Allan Poe - in fulminanter Langsamkeit der komplette bürgerliche Salon als größter Sargdeckel der Operngeschichte senkt, auf dem König, Oberpriester und enttäuschte Prinzessin Amneris sprachlos herumsitzen. Das hat man so wuchtig, so tödlich lange nicht gesehen.

Musikalisch ist der Abend eine deprimierende Mittelklasse-Präsentation. Keine der Hauptfiguren kann höhere sängerische Ansprüche auch nur ansatzweise befriedigen. Morenike Fadayomi als Aida zerstückelt eine Phrase nach der anderen, die Stimme klingt schartig, unsinnlich, abgesungen, zwischen Singen und Schreien gibt es nur graduelle Unterschiede, und jedes Piano scheint vom baldigen Absturz bedroht. Sergej Khomov friert die Emphase des Radamès auf dem Niveau einer vokalen Spätlese ein, die auch in überreifem Zustand noch Bukett und Würze verströmen soll. Und Susan Macleans Amneris geht nur unter der Annahme durch, dass Verdi ein Vertreter des Expressionismus ist, in dem jede Äußerung irgendwie existenzialistisch klingen darf. Der Chor entbietet freilich eine Präzision und Kultur, die man preisen muss.

Bei den Düsseldorfer Symphonikern ist das Element des Rhythmischen diesmal glänzend aufgehoben; andererseits müsste GMD Axel Kober das Orchester - Verdis berüchtigte Riesengitarre - zur Schonung der Sänger zügeln. Schlagkraft sollte selbst in einer Oper mit beliebten Triumphmärschen nicht die oberste Kategorie sein. Sobald wir an diesem Abend am Nil sind, tönt das Flüstern durchs Blattwerk des Bambus nicht farbig, nicht delikat, nicht atmosphärisch genug.

Aufmunternder Beifall für die Sänger, einige Buhs für die Regie.

(RP)
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