Plovdiv Bulgariens Kulturhauptstadt enttäuscht

Plovidv · Plovdiv hat den Titel eigentlich verdient. Doch von den ursprünglichen Plänen und ausgefallenen Ideen ist wenig geblieben.

 Unter der Fußgängerzone von Plovdiv verbirgt sich das 180 Meter lange römische Stadion aus dem zweiten Jahrhundert nach Christus.

Unter der Fußgängerzone von Plovdiv verbirgt sich das 180 Meter lange römische Stadion aus dem zweiten Jahrhundert nach Christus.

Foto: dpa-tmn/Plovdiv 2019 Foundation

Zwischen der Bewerbung Plovdivs zur Kulturhauptstadt und der Eröffnungsveranstaltung sind fünf Jahre vergangen. Das ist viel Zeit. Genug, um eine große Idee zu verwirklichen. Im Fall Plovdiv haben fünf Jahre gereicht, um den Kern einer ursprünglichen Vision auszuhöhlen. Ausgerechnet der Stadtteil Stolipinovo, das größte Roma-Viertel auf dem Balkan, war ein wesentlicher Bestandteil der Bewerbung; im Programm bleibt davon am Ende nur wenig übrig.

Fangen wir lieber mit den Gründen an, warum die zweitgrößte bulgarische Stadt es verdient hat, zusammen mit dem italienischen Matera 2019 den Titel „Europäische Kulturhauptstadt“ zu tragen. Keine andere Großstadt in Bulgarien verbindet wie Plovdiv Geschichte und Kultur. In den vergangenen 8000 Jahren soll die Region nahezu durchgehend bewohnt gewesen sein – von Menschen aus Persien, Rom bis hin zum Osmanischen Reich. Viele Imperien haben hier ihre Spuren hinterlassen: ein antikes Stadion und ein gut erhaltenes Theater aus römischer Zeit treffen auf Moscheen, Synagogen, frühchristliche Basilika und bulgarische Architektur aus dem 19. Jahrhundert.

Auch die Moderne fehlt nicht in der Universitätsstadt mit 350.000 Einwohnern. Dort befindet sich eines der lebendigsten Vierteln Bulgariens: „Kapana“, zu Deutsch „die Falle“. Der Name beruht auf den engen Gassen. In denen hatten sich im 15. Jahrhundert Handwerker angesiedelt. Bis heute tragen die Straßen die Namen einzelner Berufszweige. „Zlatarska“ für die Goldschmiede, „Zhelezarska“ für die Eisenschmiede oder „Abadzhiyska“ für die Schneider. Heute ist „Kapana“ das kulturelle Herz der Stadt – Festivals, Straßenmusiker, kleine Cafés, Graffiti und die gepflasterten, immer noch engen Straßen bestimmen dort das Bild.

So schön und einladend „Kapana“ ist, so trist und abgeschottet ist „Stolipinovo“, das sogenannte Roma-Viertel. Die Minderheit der Roma macht 20 Prozent der städtischen Bevölkerung aus, die Mehrheit lebt in „ihrem“ Stadtteil. Die Grenzen sind klar definiert, auch wenn weniger als vier Kilometer zwischen dem hippen Viertel und jenem des Elends liegen. Die Unterschiede sind frappierend. Auf der einen Seite die schönen engen Straßen, wo Hipster ihren Espresso schlürfen, auf der anderen Müllberge, Pferdekutschen als übliche Verkehrsmittel und in die Höhe gebaute graue Wohnhäuser. Menschen, die im Schmutz leben – in einem Viertel, das für Außenstehende meist Tabu ist. Ausgerechnet dieser Ort sollte 2019 zum Mittelpunkt von kulturellen Aktivitäten werden. Das war der Plan, mit dem Plovdiv die Bewerbung zur Kulturhauptstadt gewonnen hat.

Im sogenannten Bid Book, dem offiziellen Bewerbungsdokument aus dem Jahr 2014, ist auf 111 Seiten 73 Mal das Wort „Roma“ zu lesen. Schon auf der ersten Seite handelt ein ganzer Absatz von der gesellschaftlichen Spaltung der Stadt. „Es gibt keinen Dialog“, steht dort. „Die Minderheit der Roma lebt sogar in Ghettos, die vom Rest der Bevölkerung gemieden werden – Plovdiv zusammen? Soll das Europa sein?“ Es ist der mutige Anfang einer unkonventionellen Bewerbung – die Organisatoren steigen mit den Schwächen der Stadt ein, anstatt sie zu verstecken. Das Motto der Bewerbung, „Plovdiv Together“, entspricht nicht der Realität, so steht es schon auf der allerersten Seite des Bid Books. Es war aber die angestrebte Vision der Organisatoren. Die Bewerbung sah ein ganzes Projekt-Cluster vor, mit Initiativen rund um Stolipinovo und die Roma. Von einer Theater-Akademie war dort die Rede, von einem Radio für die Minderheit, auch von vielen infrastrukturellen Projekten.

Doch es sollte anders kommen. Im offiziellen Programm für die Veranstaltungen in der neuen europäischen Kulturhauptstadt findet sich das Wort „Roma“ jetzt nur noch sechs Mal auf 80 Seiten – vier davon in einem einzelnen Absatz. „Plovdiv 2019 ist ein totales Fiasko“, schrieb Manol Peykov kurz vor dem Start ins Kulturhauptstadtjahres in einem wütenden Facebook-Post. Peykov, das muss man als Hintergrund wissen, war einer der Initiatoren der Bewerbung Plovdivs zur Kulturhauptstadt. Vier Jahre lang war er Mitglied im „Board of Directors“ für die Bewerbung, von 2013 bis 2017, dann wurde er wegen eines vermeintlichen Interessenkonflikts entlassen. Vier weitere Mitglieder des Gremiums verließen es daraufhin. „Ich glaube, dass unser Fokus auf der Möglichkeit sozialer Veränderungen durch Kultur im größten Roma-Ghetto in Europa das beeindruckendste Element der Bewerbung war“, sagt er. „Wir wollten die unsichtbaren Mauern wegreißen, zumindest für einige Monate.“

Nachdem fünf von neun Mitgliedern des Board of Directors gegangen waren, wurden sie ausgetauscht durch „bequemere Leute“, so beschreibt Peykov. Fest steht: Die ursprüngliche Utopie wich nach der gewonnenen Bewerbung der Realität. Die neuen Macher kamen im Einklang mit der Politik zu dem Schluss, dass die Tristesse des Viertels den sensiblen europäischen Freunden nicht zumutbar seien. Die ausländischen Gäste werden mit viel Vorfreude erwartet, denn mit ihnen verbindet man die Hoffnung auf Investitionen. „Die Verantwortlichen betrachteten Plovdiv ausschließlich aus wirtschaftlichen und politischen Blickwinkeln“, sagt Peykov. Und aus dieser Hinsicht sei Stolipinovo gar nicht attraktiv.

„Die allermeisten ambitionierten Projekte werden nicht stattfinden“, sagt Peykov. Er hofft, dass die wenigen noch vorgesehenen Veranstaltungen im Roma-Stadtteil es schaffen, wenigstens eine Spur zu hinterlassen. An den großen Wurf glaubt er jedoch nicht mehr. Die Stadt will lieber die große Vergangenheit zeigen, die prächtige Architektur, die hippen Viertel. Aber der Hinterhof, in dem ein Fünftel der Einwohner im Hier und Jetzt unter den widrigsten Umständen lebt, soll weiterhin großenteils verschlossen bleiben.

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