Parkett schleifen à la Caillebotte

FRANKFURT/M. Nur zwei Bilder verkaufte er – und kaufte sie bald zurück. Er wollte sie nicht missen, denn Geld spielte für ihn keine Rolle als Spross einer vermögenden Familie. Zudem hielt er seine Malerei nicht für wichtig. Dafür unterstützte Gustave Caillebotte (1848–1894) andere Künstler und erwarb ihre Werke, die er später dem Staat schenkte. So wurde Caillebotte als Sammler der Impressionisten bekannt.

Als Künstler aber ist er der große Unbekannte, denn zwei Drittel seiner 500 Bilder sind in Familienbesitz. Nur wenige Museen besitzen Werke von ihm, in Deutschland sind es Häuser in Bremen und Köln. Jetzt ist Caillebotte in der Frankfurter Schirn-Kunsthalle als kühner Maler zu entdecken, der mit der fotografischen Sicht spielte. Als sich nach 1850 die Fotografie ausbreitete, experimentierte damit wohl jeder Künstler. Doch Caillebotte nahm mit seinen schwindelerregenden Bildperspektiven sogar das Neue Sehen der 1920er Jahre vorweg. Wie sehr ihn die Lichtbildkunst inspiriert hat, muss freilich Spekulation bleiben. Seine eigene Foto-Sammlung ist verschollen. Nun zeigt die Schirn 50 seiner Bilder und Zeichnungen zusammen mit 150 Fotografien aus der Zeit vor und nach 1900, von Eugène Atget bis Alfred Stieglitz.

Doch die Zahlen täuschen, denn es handelt sich oft um kleine Fotos – der Maler Caillebotte steht also doch im Zentrum der schön inszenierten Schau, die zuerst die Stadt, dann Porträts und Interieurs und zuletzt Natur und Bewegung behandelt. Die meisten Fotos drehen sich um die Stadt. Denn als Gustave fünf Jahre alt war, wandelte sich seine Heimatstadt Paris von Grund auf. Alte Viertel mit ihren verwinkelten Gassen wurden abgerissen, breite, kerzengerade Boulevards gebaut. Der Gegensatz von Alt und Neu bot den Fotografen viel Stoff. Und Gustave Caillebotte malte 1880 eine Verkehrsinsel auf dem Boulevard Haussmann – von seinem Balkon aus. Steil nach unten geht der Blick auf einen fast leeren Platz mit nur wenigen Menschen. Ein ungeheurer Tiefensog erfasst den Betrachter des Bildes.

Ohnehin war Caillebotte mehr Realist als Impressionist. Das feine Tupfen mit dem Pinsel war seine Sache nicht, obgleich er das Licht sehr geschickt einsetzte. Auch von impressionistischen Momentaufnahmen sind seine Bilder weit entfernt. Relativ nüchtern ist auch sein "Parkettschleifer"-Bild von 1875: Zwei Handwerker arbeiten in Blickrichtung zum Betrachter, der dritte Schleifer aber kniet quer und bringt damit das Bild aus dem Lot.

Info Schirn-Kunsthalle, bis 20. Januar 2013; Di. und Fr.–So. 10–19, Mi./Do. 10–22 Uhr; Eintritt: 10 Euro

(RP)
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