Opern-Einakter: In der Kürze liegt die Würze

Viele Meister haben Kurzopern komponiert, die auf 50 Minuten Wucht und Geschlossenheit erreichen. Sie werden zu selten gespielt.

Auch Richard Wagner hat ihn einmal ausprobiert, manche meinen sogar, dieser Einakter sei sein bestes und geschlossenstes Werk. Der Meister hat allerdings so viele Informationen in sein "Rheingold" gepackt, dass das Werk weit über zwei Stunden dauert; Wagner fährt hier Stoff für eine vieraktige Oper auf. Indes plante er diesen "Vorabend eines Bühnenfestspiels" ganz bewusst als Werk ohne Pause - der Prolog der Geschichte um Gier, Neid, Hass und Egoismus sollte in maximaler Verdichtung vorgeführt werden, und alle im Publikum sollten schon einmal ihr Sitzfleisch für den ganzen folgenden "Ring des Nibelungen" trainieren. Was den Aspekt der Kondition betrifft, ist "Rheingold" einer von Wagners typischen Versuchen, aufs Publikum körperliche Gewalt auszuüben. Bei Wagner wird es zum kollektiven Sitzenbleiber.

"Rheingold" ist Wagners einziger Einakter, und viele Komponisten folgten ihm darin: Einakter sind Ausnahmen. Außer Richard Strauss, der natürlich in Wagners Bann stand und ihn übertrumpfen wollte, weswegen er in "Elektra" und "Salome" gleich zwei bis heute epochale Einakter schuf, beide nicht sehr kurz, aber beide extrem konzentriert, auch in der verrinnenden Zeit der Handlung: Die Dauer der Werke könnte Echtzeit sein. Sogar "Capriccio", Strauss' überaus zwiespältiger Schwanengesang, ist formal ein Einakter. Zweieinhalb Stunden. Aber ohne Pause ertrüge das Werk kein Mensch.

Trotzdem ist der Operneinakter kein gern gesehener Gast in unseren Spielplänen; viele Intendanten messen ihm nur wenig Liebe bei. Er gilt nicht als richtige Oper, sondern als schwachbrüstiger Zwerg oder getrennter Zwilling. Immer benötigt er ein Geschwisterwerk, damit ein Abend auf volle Länge kommt; so wurde irgendwann Leoncavallos "Bajazzo" in eine gemeinsame Zelle mit Mascagnis "Cavalleria rusticana" gesperrt, aus der beide Einakter bis heute in einer Art Zwangsheirat auf die Bühnen kommen - keiner ohne den anderen. Wie ein altes Ehepaar.

Die latente Geringschätzung hat geschichtliche Gründe. Der Einakter stammt opernhistorisch von den Florentiner Intermedien ab, kleinen musiktheatralischen Pausenbroten, die in den Umbauzeiten längerer (Theater-)Werke zur Ergötzung des Auditoriums gereicht wurden. Diese Miniaturen fanden bei den großen Meistern späterer Epochen ein unterschiedliches, doch kein machtvolles Echo. Der reife Mozart liebte die Ausführlichkeit, war jedoch in seinem Frühwerk, als er noch experimentierte, den Kleinodien nicht abgeneigt. Mozart war in allem genial, und "Bastien und Bastienne" hat bis heute nichts von seiner Kostbarkeit verloren. Aber man frage mal zehn Intendanten, was sie von "Bastien" halten: Neun kennen das Singspiel nicht einmal.

Überblickt man die Spielpläne der Opernhäuser für die aktuelle Saison, so sind die Einakter dramatisch in der Unterzahl, was kein Wunder scheint: So viele gibt es gar nicht. Aber es sind deutlich mehr, als uns glauben gemacht wird. Zugleich ist es ein Unding, dass ein so grandioses Opus wie Béla Bartóks "Herzog Blaubarts Burg" nicht häufiger gespielt wird. Der Oper "Il Prigioniero" (Der Gefangene) von Luigi Dallapiccola, eines der würgenden Werke der Literatur mit einer zeitlosen Folter-Thematik, geht es ebenso. Gegen diese beiden Gipfelwerke würde man gern andere, bekanntere, längere Werke der Literatur eintauschen. Apropos Gipfel: Den hat natürlich Giacomo Puccini mit seinem "Trittico" geschrieben, einem Mächtigkeitsspringen aus drei Einaktern, die in Charakter, Inhalt, Farbe, Milieu, dramatischem Bogen, Klang und Besetzung nicht unterschiedlicher sein könnten. "Trittico" wird beispielsweise an der Düsseldorfer Rheinoper in der famosen Inszenierung von Dietrich Hilsdorf wieder in den Spielplan geholt. Und die Staatsoper Berlin behält Morton Feldmans "Neither" auch in der kommenden Spielzeit auf dem Programm. Sie ist überhaupt ganz kreativ bei Einaktern: Sie spielt "La voix humaine" (Die menschliche Stimme) von Francis Poulenc, "Through Roses" von Mark Neikrug sowie als Uraufführung "Hans im Glück". Vorbildlich!

Bevor wir die anderen Intendanten vorschnell ausschimpfen, sei zu ihrer Ehrenrettung gesagt: Manchen Einakter finden sie natürlich beim Stöbern im Fundus oder in der Fachliteratur. Aber wenn er dann nach langen Entscheidungsprozessen tatsächlich aufs Programm gelangt, wird er gleich wieder versteckt, weil ein unbekanntes Stücke angeblich kein Renner an der Abendkasse wird. In dieser Hinsicht ist die Oper Frankfurt zu preisen, die nicht nur Bohuslav Martinus hinreißende "Juliette" herausbringt, sondern als Beigabe auch drei völlig unbekannte Einakter dieses großen Meisters: "Tränen des Messers", "Komödie auf der Brücke" und "Zweimal Alexander". Das sind artifizielle Kabinettstückchen aus den 20er und 30er Jahren, für die man eine kleine oder größere Anreise erwägen sollte; sie führt allerdings nicht ins Frankfurter Haupthaus, sondern ins Bockenheimer Depot.

Einakter werden auch gern ins konzertante, bilderlose Matineen-Programm namens "Oper am Klavier" vor 45 Stühlen im Foyer abgeschoben. Das liegt daran, dass sie stets eines Werks für "nach der Pause" bedürfen und damit zwiefache Kräfte binden. Für zwei Opern muss eine doppelte dramaturgische Basis gelegt werden, man braucht zwei Bühnenbilder (es sei denn, Regisseur und Ausstatter legen zwei völlig separate Werke als geheimes Doppel an, das sie für die Dauer eines Opernabends mit einem künstlichen roten Faden verbinden); im ungünstigen Fall braucht man auch zwei Sängerensembles (für "Trittico" benötigt man sogar drei). Manche Komponisten haben übrigens gleich zwei Einakter als geplantes Pärchen hinterlassen, auf dass sie bei der Spielplan-Gestaltung doppelt bedacht werden (und dadurch doppelte Tantiemen kassieren): Carl Orff hat das so mit "Der Mond" und "Die Kluge" gemacht, Maurice Ravel mit "L'Enfant et les Sortilèges" (Das Kind und die Zaubersprüche) und "L'heure espagnole" (Die spanische Stunde) ebenso.

Einen Einakter versagte sich der große Leo Janáek. Er bekam für sein "Osud" (Schicksal) nur knappe 75 Minuten Musik zusammen, das hätte für einen Einakter gereicht. Weil die drei Szenen aber zum Teil viele Jahre auseinander liegen, benötigte er drei Akte. Kürzere Akte wurden kaum je komponiert. Sie sind so intensiv und ausdruckshungrig, dass mancher gern mehr hätte. Trotzdem geht der Zwitter "Osud" in der Regel als Einakter durch. Ist ja so kurz!

Formal anders verhält es sich bei der neumodischen Unsitte einiger Regisseure, manchen langen Werken die Pause schnurstracks zu streichen und etwa den Fliegenden Holländer ohne Pause durchzuspielen. Dieser fingierte Einakter freut nur diejenigen, die einen späten Zug bekommen wollen. Alle anderen mit Blasenschwäche, Heißhunger oder einfach nur Plauderlust werden durch die fehlende Pause düpiert. Auch der Caterer meckert. Wozu wohl dieser Eingriff in die Usancen? Der Regisseur will vermeiden, dass die Spannung sich in einer Pause etwa auf der Toilette verliert oder mancher wegen einer als furchtbar empfundenen Inszenierung gleich nach Hause geht. Das aber bezeugt nur das Misstrauen des Regisseurs gegen sich selbst.

Also: Einakter sind spannend. Sie taugen für große, für experimentelle Abende. Und sie brauchen auch nicht immer ein Brüderchen.

(RP)
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