Liebesbriefe Ohne Dich bin ich ein rohes Ei

Bücher mit Liebesbriefen berühmter Menschen verkaufen sich gerade besonders gut. Der Klatschfaktor ist hoch, und man kann sich einiges abgucken. Eine Kulturgeschichte der Sehnsucht zwischen den Zeilen.

Liebesbriefe: Ohne Dich bin ich ein rohes Ei
Foto: Piper Verlag, dpa, Grafik: Zörner

Die Schriftstellerin Anaïs Nin war dafür bekannt, dass in ihren Texten auch in jenen Körperregionen schönes Wetter herrschte, die von der Sonne sonst nicht so verwöhnt werden. Sozusagen. Da passt es natürlich sehr gut, dass sie mit Henry Miller liiert war, denn auch der wusste, was einen gelungenen von einem ekstatischen Abend unterscheidet. Im August 1932 schrieb die anderweitig verheiratete Anaïs Nin dem anderweitig verheirateten Miller einen Brief, er ist nicht lang, lässt dennoch nichts aus, und hätte es damals schon Internet gegeben, hätte Henry Miller sicher bei fluege.de nach der nächstmöglichen Verbindung gegoogelt. Man darf hier nicht alles von dem wiedergeben, was sie ihm für das Wiedersehen in Aussicht stellte. Nur so viel: Sie entsicherte die Sprache und schoss mit überdosierten Sätzen. Eine Stelle bringt es ganz gut auf den Punkt: "Wir werden eine Woche erleben, wie wir sie uns nie erträumt haben. Das Thermometer wird platzen." Klar, dass Miller sie heiraten wollte. Sie lehnte indes ab - ihr Ehemann war einfach zu reich.

Es ist herrlich, die Liebesbriefe berühmter Menschen zu lesen, das ist wie durch Ausgaben von "Gala" und "Bunte" zu blättern, in denen man ausnahmsweise jeden Menschen kennt, und sehr viele Leute tun das derzeit mit Genuss. In verschiedenen Sammelbänden erscheint die galante Post. "Liebesbriefe großer Frauen" heißen sie zum Beispiel, es gibt sie als Hörbücher, Martina Gedeck und Anna Thalbach lesen dann, und gerade ist der Band "Schreiben Sie mir, oder ich sterbe" herausgekommen, der so etwas ist wie eine Kulturgeschichte der Sehnsucht zwischen den Zeilen. Ein Album voller Röntgenbilder versehrter Herzen.

"Jeder schreibt einen Brief als Abbild seiner Seele", hat der antike Philosoph Demetrios gesagt, und in keiner Form der Rede sei der Charakter des Schreibers so deutlich zu sehen wie im Liebesbrief. Liebesbriefe sind Fenster ins Innere ihrer Autoren. So wirkt denn Goethe noch sympathischer, wenn man seinen Brief an Frau von Stein aus dem Jahr 1784 kennt: "Wenn ich entfernt von Dir bin, bin ich wie ein rohes Ei."

David Byrne, der Sänger der Band Talking Heads, hat etwas sehr Treffendes mit Blick auf die Popmusik gesagt, und das gilt auch für Liebesbriefe: "Je besser die Stimme eines Sängers ist, desto schwerer wird es, ihm zu glauben, was er singt." Die schönsten Liebesbriefe sind denn auch jene, in denen es Brüche gibt. Wie bei Mozart, der 1789 an seine Constanze schrieb. Er schickte ein paar Formulierungen auf Stelzen übers Papier, es regierte der gepuderte Perückenton; Schwärmerei als Versuch in höherer Diplomatie. Mozart merkte dann aber wohl selbst, dass man so einen Brief lieber nicht bekommen möchte, und damit es ihm nicht so ergehe wie ihr, schrieb er ein trotz aller Anmaßung irgendwie rührendes Postscriptum: "Du musst in Deinen Briefen nicht das Maß nach dem meinigen nehmen, bei mir fallen sie nur deswegen etwas kurz aus, weil ich pressiert bin. Du aber hast Muße."

Auch Denis Diderot standen Contenance und Intellekt beim Liebesbriefschreiben im Weg. Er war halt Philosoph, aber er war eben auch Franzose und also charmant genug, mit dem Defizit zu spielen. So sandte er 1759 diese Nachricht an Sophie Volland: "Es ist neun Uhr, ich schreibe Ihnen, dass ich Sie liebe. Ich will es Ihnen wenigstens schreiben, aber ich weiß nicht, ob sich die Feder meinem Wunsche fügt. Ich fahre fort, mit Ihnen zu sprechen, ohne zu wissen, ob ich Buchstaben bilde. Wenn irgendwo nichts steht, so lesen Sie bitte, dass ich Sie liebe!"

Auf dem Papier ist die Liebe ein Spiel, man tanzt so umeinander herum, und entscheidend ist nicht das Schema, sondern die Angemessenheit der Züge. Liebesbriefe müssen zu ihren eigenen Bedingungen gelesen werden, sie stellen räumliche Nähe her, wo keine ist, und je länger Liebende getrennt sind, desto schöner ist es zu lesen, wie sie mit dem Herzen durch die Wand wollen. John Lennon zum Beispiel. Der arme Kerl lag 1962 in Hamburg in einem Etagenbett unter Paul McCartney, als er einen Brief an seine Freundin Cynthia schrieb. Sieben Wochen war er mit den Beatles bereits weg von zu Hause, oben schnarchte Paul wie ein Sägewerk, und John konnte nicht mehr: "Ich wünschte, ich wäre auf dem Weg zu Deiner Wohnung mit der Sonntagszeitung und Schokolade und einem Steifen." Und zum Schluss: "Halt's Maul, Paul. Grummel grummel."

Wer einen Liebesbrief schreibt, ist immer auch Übersetzer, denn zu Anfang sind da noch keine Worte, da ist bloß ein Bild im Kopf oder ein Zustand im Bauch. Man will sich absetzen von anderen Schwärmern, man will Individualität herstellen, und eine Methode ist der Kosename. Winston Churchill nannte seine Frau "Miezevogel", sie ihn "Mops". Marlene Dietrich sagte "Schnupsilein" zu Erich Maria Remarque, er rief sie "Puma". Ansonsten blieb er pragmatisch - etwa als er im November 1937 diese Frage nach Paris sandte: "Bist du auch unterwärts warm angezogen?" Brecht war der König der Kosenamen. Er begann einen Brief an seine Jugendliebe Paula Banholzer 1917 so: "Zentralsonne meiner Jugend, Inhalt meiner unsterblichen Lieder, Futter meiner Bandwurmsätze, Sphinx meines Mondscheinnachtkahnfahrtentraumwahnsinns, funkelnder Hohlspiegel des Nirwana."

Im Grunde geht es in Liebesbriefen darum zu sagen, dass man den anderen mehr mag, als man andere mag und dass man aber bitte auch mehr zurückgemocht werden will als andere. Man muss also den Satz "Ich liebe dich" individuell abändern und zugleich sicherstellen, dass man ihn ebenfalls bald gesagt bekommt, sinngemäß zumindest und gerne mit rosa Girlanden drumherum. Wallis Simpson hatte den Bogen raus, sie schrieb im Oktober 1936 an König Edward VIII.: "Zusammen sind wir stark genug, es mit dieser erbärmlichen Welt aufzunehmen." Zwei Monate später dankte Edward ab.

In Liebesbriefen kann man eine Utopie entwerfen, die Flucht ins La-Love-Land sozusagen, und deswegen schrieb Martha Gellhorn an ihren Mann Ernest Hemingway, als es zwischen den beiden nicht mehr gut lief, dieses: "Ich möchte jung und arm sein mit Dir und unverheiratet." Es nützte nichts, zwei Jahre später ließen sie sich scheiden.

Briefe haben immer etwas Mittelbares, deshalb kann man den jungen Elvis gut verstehen, der in der letzten Strophe von "Return To Sender" der Post nicht mehr vertraut und seinen Liebesbrief höchstpersönlich zu übergeben beschließt. Und: Liebesbriefe sind gefährlich. In manchen steckt so viel Wahrheit, dass sie ewig weiterglühen, auch wenn das Feuer der Liebe verloschen ist. Man erinnere sich nur an Fontanes "Effi Briest": Als Instetten die Briefe von Crampas findet, ist die Beziehung längst beendet. Dennoch ist der Inhalt so brisant, dass die Männer sich duellieren und Effi fortan als Verstoßene leben muss.

Den tragischsten Liebesbrief formulierte Alain Delon. Adressatin war Romy Schneider. Die beiden waren in den frühen 60er Jahren ein Paar gewesen, er hatte sie "Puppele" genannt, und 1982 saß er in ihrem Apartment in Paris, als er schrieb: "Ich sehe Dich schlafen. Ich bin wieder allein. Ich sage mir, Du hast mich geliebt. Ich habe Dich geliebt. Mein Püppchen, ich schau Dich immer wieder an, immer wieder. Ich will Dich mit meinen Blicken verschlingen und Dir immer wieder sagen, dass Du nie so schön und ruhig warst. Ruhe Dich aus. Ich bin da. Ich habe von Dir ein wenig Deutsch gelernt. Die Worte: Ich liebe Dich."

Der Brief hat Romy Schneider nie erreicht. Delon schrieb ihn an ihrem Totenbett.

(hols)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort